Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf
Kapitel 1
»Verkauft? Was soll das heißen, sie ist verkauft?«
Josette schob ihre Brille auf dem Nasenrücken nach oben, schubste die baumelnden Wurstketten zur Seite, die ihr die Sicht versperrten, und beäugte gespannt die Person, die der Gemeinde von Fogas die größte Neuigkeit überbrachte, seit … nun ja, seit Monsieur Sentenac den Vikar in einer kompromittierenden Situation mit Madame Sentenac erwischt und funkelnden Auges mit einem Gewehr herumgefuchtelt hatte, woraufhin der Vikar sich im Bruchteil einer Sekunde von seiner Geliebten und seiner Missionarstätigkeit gleichermaßen verabschiedete, aus dem Fenster sprang und floh. Seither hatte die Kirche keinen Priester mehr gesehen, und das lag jetzt zwanzig Jahre zurück.
Aber dies hier war von einem viel größeren Kaliber.
»Soll das heißen, dass sie verkauft ist?«, sagte die größere der beiden Frauen über die Theke hinweg.
Josette beobachtete, wie Véronique, die Postmeisterin von Fogas, die dramatische Pause auskostete, das Baguette von der rechten in die linke Hand gleiten ließ – wobei sie sich hütete, es auf der mit Jagdmessern gefüllten Glasvitrine abzulegen – und sich das überschüssige Mehl von ihrer Strickweste wischte. Als sie den Laden mit leuchtenden Augen betreten hatte, die Lippen zu einem verschmitztenLächeln verzogen, war Josette klar gewesen, dass Véronique mit neuem Klatsch und Tratsch aufwarten konnte. Und dass sie es weidlich auskosten würde, ihn zu präsentieren.
Mit einem letzten Zurechtrücken des kleinen Kreuzes, das um ihren Hals hing, fuhr Véronique mit ihrer Geschichte fort.
»Sie ist verkauft, und die ersten Papiere sind bereits unterzeichnet.«
Ein lautes Japsen der einzigen Zeugin dieser unglaublichen Neuigkeit – lässt man Jacques einmal außer Acht – stellte Véroniques verblüffende Fähigkeit unter Beweis, die harten Fakten des Dorflebens schon dann zutage zu fördern, wenn jemand wie Fatima Souquet, die Ehefrau des stellvertretenden Bürgermeisters von Fogas, noch nicht einmal ein Flüstern vernommen hatte.
»Aber wie kannst du da so sicher sein?«, fragte Fatima schroff, und Josette amüsierte sich über ihren kaum kaschierten Unmut.
Véronique lächelte arglistig und lehnte sich vertraulich nach vorn, um ihre Tricks und Kniffe zu verraten. »Weil ich gerade im Rathaus war und mitgehört habe, wie der Bürgermeister mit dem Anwalt telefoniert hat! Der compromis de vente wurde letzte Woche unterschrieben, und in weniger als einem Monat wird die Auberge des Deux Vallées neue Eigentümer haben.«
Wie auf Kommando drehten die drei Frauen den Kopf und schauten aus dem Schaufenster des Ladens zu dem imposanten Steinbau hinüber, der am Flussufer am Ende des Dorfes thronte. Wild wuchernde Wisterien wanden sich bis zu den Dachrinnen hinauf, Fensterläden hingen schief herab, und eine allgemeine Atmosphäre der Vernachlässigung umgab das Anwesen.
»Aber das ist noch nicht alles«, fuhr Véronique fort, und ihre Stimme nahm einen ernsten Tonfall an. »Der neue Besitzer ist nämlich nicht etwa der Schwager des Bürgermeisters.«
Das war zu viel für Fatima. Die Überraschung war ihr ins Gesicht geschrieben, als sie herumfuhr. »Das kann nicht sein!«, erklärte sie. »Das war eine beschlossene Sache. Sein Schwager war sich so absolut sicher. Er hat sich sogar schon Geschäftskarten drucken lassen!«
»Na und?« Véronique schürzte achselzuckend die Lippen und verwarf Fatimas Einwand sogleich. »Mit denen wird er jetzt nichts mehr anfangen können. Er wurde im letzten Augenblick überboten.«
Das war der Moment, in dem sich zum ersten Mal eine leichte Besorgnis in Josette breitmachte. Wenn Véronique recht hatte – und das war gewöhnlich der Fall –, würde dies zu gewaltigem Ärger in der Gemeinde führen, und der Zorn des Bürgermeisters war legendär. Der Gedanke daran ließ sie zu Jacques hinübersehen, der, wie immer, in der dunkelsten Ecke des Ladens herumlungerte. Sein weißer Haarkranz leuchtete vor den Regalen mit eingedostem Cassoulet, Feueranzündern und Schnürsenkeln, und es wurde ihr eng ums Herz. Ärger war das Letzte, was er gebrauchen konnte. Er sah so hilflos aus. Und so verdrossen. Aber sie konnte nicht sicher sein, ob sein mürrischer Gesichtsausdruck eine Reaktion auf die neuesten Nachrichten oder auf die Anwesenheit von Fatima Souquet in seiner heißgeliebten Épicerie war.
»Nun ja«, sagte sie seufzend und wienerte das Vitrinenglas über den Messern geistesabwesend
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