Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
konnte sich dann selbst eine Meinung bilden.
Einige Wochen später ließ ich noch einmal Bewohner Hulas nach Damaskus bringen und von einem Freund anhand von Filmberichten über das Massaker befragen. Sie bestätigten Ahmads Darstellung in allen wesentlichen Punkten.
Vorgespräch mit Assad
Erst am Abend dieses Tages der vielen Begegnungen informierte ich die syrische Regierung über unsere Anwesenheit. Der syrische Geheimdienst wusste sicher längst, dass wir hier waren. Ob es allerdings eine Kommunikation zur Staatsspitze gab, war nach meinen bisherigen Erfahrungen fraglich. Sonst wären wir am Flughafen vielleicht doch etwas freundlicher empfangen worden.
Am nächsten Tag fanden erste Vorgespräche zum Interview statt. Baschur, ein junger Mitarbeiter Assads, teilte mir überraschend mit, dass der Präsident meine Fragen nicht auf Englisch, sondern auf Arabisch beantworten werde. Der frühere syrische Botschafter in Deutschland, Dr. Hussein Omran, werde simultan übersetzen. Er spreche brillant deutsch.
Ich hielt den Atem an. Was das nun wieder solle, fragte ich wütend. Es gebe doch eine Vereinbarung, dass das Interview auf Englisch geführt werde. Baschur, ein an sich gescheiter, offener junger Mann, antwortete, das sei vielleicht richtig. Aber nirgendwo stehe ausdrücklich geschrieben , dass der Präsident englisch sprechen müsse.
Seine Argumentation war reine Wortklauberei. Ich sagte ihm das sehr deutlich. Verlegen antwortete er, ich könne ja beim morgigen Vorgespräch mit Assad versuchen, diesen zu einem englischen Interview zu überreden. Doch dazu hatte ich nicht die geringste Lust. Offenbar hatte Assad kurzfristig entschieden, auf Arabisch zu antworten. Jetzt wagte keiner, ihm zu widersprechen. Mut vor Fürstenthronen war schon immer selten.
Ich war nicht nur verärgert, sondern auch falsch vorbereitet. Stefan Rocker von der ARD rief mich an und fragte, was ich über die neue Situation dächte. Ich sagte, dass ich dazu neigte abzusagen. Lieber kein Interview als ein schlechtes Interview. Doch der weise Rocker bat mich, in aller Ruhe darüber nachzudenken, wie ich der Öffentlichkeit erklären wolle, dass ich einem arabischen Staatspräsidenten nicht »gestatten« wolle, arabisch zu sprechen.
Am nächsten Morgen fand das Vorgespräch mit Assad statt. Aus Sicherheitsgründen fuhren wir diesmal noch größere Umwege und setzten drei unterschiedliche Wagen ein. Erst nach über einer Stunde trafen wir im Palast ein. Dort ging es ohne Kontrolle durch eine weitläufige Eingangshalle direkt zu Assads Büro. Auf inständiges Bitten von Assads Pressedame Luna trug ich eine Krawatte. Mein Besuch im November in Jeans und offenem Hemd war der Presseabteilung und dem Protokoll offenbar noch in lebhafter Erinnerung.
Assad stand wieder freundlich in der Tür. Als Erstes unterhielt er sich ausführlich mit Frédéric über dessen Pläne, eine Musikproduktionsfirma zu gründen. Als die beiden beim Electro-Pop angekommen waren und keine Anstalten machten, ihr Expertengespräch zu beenden, unterbrach ich ihr interessantes Gespräch. Ich fragte Assad, ob er zur westlichen Welt wirklich auf Arabisch sprechen wolle. »Was raten Sie mir?«, gab er sich unschuldig.
Nicht ganz selbstlos sagte ich, selbstverständlich müsse er englisch sprechen. Die meisten Deutschen verstünden Englisch, aber nur wenige Arabisch. Er wolle ja mit seinem Auftritt die Menschen im Westen erreichen. »Einverstanden«, meinte er. Aber manchmal seien englische Fachausdrücke auch für ihn ein Problem. Als Präsident könne er es sich nicht leisten, in komplizierten Sachfragen versehentlich die zweitbeste Formulierung zu wählen. Aber er sei einverstanden.
Dann begann ein eineinhalbstündiger Meinungsaustausch, den ich hier nur teilweise wiedergeben kann. Ich eröffnete Assad, dass ich beim morgigen Interview einige recht unfreundliche Fragen stellen würde. Und dass ich dankbar wäre, wenn er das Interview trotzdem nicht abbräche. Ich müsse ihn nach Rücktrittsforderungen, nach den vielen getöteten Zivilisten und nach dem Massaker von Hula fragen.
Assad dachte einen Augenblick nach. Dann sagte er sehr ernst: »Danke für die Ansage. Notfalls muss ich halt zurückschlagen.«
Dann erzählt er über sein Land und die fast aussichtslose Situation, in der es sich befindet. Er weiß, dass Syrien dringend Reformen braucht. Assad ist auch klar, dass er mit allen Oppositionsgruppen des Landes sprechen muss. Mit den Rebellen und mit der
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