Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
ohnehin klar, dass ich nur Kritik ernten würde. Man würde sagen, ich hätte Assad eine Bühne geboten. Außerdem hätte ich keine Ahnung, wie man TV -Interviews mit Staatspräsidenten führe. Ganz falsch war das ja alles nicht.
Ich begann deshalb, mich besonders intensiv vorzubereiten. Ich las alle Interviews und Stellungnahmen Assads der letzten zehn Jahre. Dann kam Frédérics, Belals und Julias großer Auftritt. Jeder musste einmal Präsident spielen. Ich wollte auf alle Überraschungen vorbereitet sein.
Frédéric zerriss genüsslich jede meiner Fragen in der Luft. In 20 Minuten brachte ich nur drei meiner 20 Fragen durch. Ich geriet ständig in die Defensive. Julia schied als syrischer Präsident aus. Bei jeder zweiten Frage antwortete sie, auf derart dumme Fragen könne sie nichts Gescheites antworten. Der Assad-Skeptiker Belal aber war der geborene Präsident. Majestätisch herablassend beantwortete er jede Frage so brillant, als hätte er nie etwas anderes getan.
Wenige Tage vor unserer Abreise kam mir die syrische Seite wenigstens in einem Punkt entgegen. Der »Weltspiegel«-Redakteur Stefan Rocker und Frédéric durften zwar nicht in den Interviewraum. Aber sie konnten von einem gegenüber liegenden Kontrollraum durch eine große Glasscheibe zuschauen. Ich würde allerdings keinen Blickkontakt zu ihnen haben. Aber immerhin hatte ich Zeugen und einen absoluten Profi an meiner Seite.
Das Interview sollte am Donnerstag, dem 5. Juli 2012, stattfinden. Die syrische Seite wollte wissen, wann ich anreisen würde. »Rechtzeitig«, sagte ich. Alle glaubten, dass wir am Montag kämen. Wie Stefan Rocker, der dies der syrischen Seite offiziell mitgeteilt hatte. Doch Frédéric und ich flogen schon am Samstag. Ich wollte vermeiden, dass mir die Geheimdienste oder andere staatliche Stellen die geplanten Recherchen über die Entstehung des Aufstands vermasselten.
Der schroffe Empfang
Die frühe Anreise hatte auch Nachteile. Am Flughafen in Damaskus verfinsterte sich erneut das Gesicht des kontrollierenden Beamten. »Sind Sie Journalist?«, fragte er nach längeren Nachforschungen auf seinem Computer. Als ich erklärte, dass ich lediglich Buchautor sei, durfte ich mit Frédéric wieder zur Sonderbehandlung in die Räume des Geheimdienstes.
Dort wurde ich erneut wie ein Kleinkrimineller behandelt. Weil in den Mammutbürokratien autoritärer Staaten die eine Hand nicht weiß, was die andere tut. Ich sagte den Beamten nicht, dass ich eine Verabredung mit ihrem Präsidenten hatte. Aus diesem Schlamassel sollten die Grenz- und Geheimpolizisten selbst herausfinden. Die Szene war zu absurd.
Nur einen Tipp gab ich den Vernehmungsbeamten. Ich sagte: »Genau das Gleiche hatten wir schon einmal. Am Schluss werden Sie sich entschuldigen. Können wir diesen umständlichen Vorgang nicht etwas abkürzen?« Doch die Grenzkontrolleure und Geheimdienstler verstanden erneut keinen Spaß. Sie wurden nur noch strenger.
Ich schlug ihnen vor, mich einfach wieder zurückzuschicken. Dann bekämen sie vielleicht sogar Schlagzeilen in der Weltpresse. Jetzt wurden sie noch misstrauischer.
Nach anderthalb Stunden rief ich dann doch den syrischen Verbindungsmann an, der das Assad-Interview vermittelt hatte. Um ihn zu ärgern, sagte ich, ich würde gerade in Handschellen nach Deutschland abgeschoben. Er bekam fast einen Herzanfall. Nachdem er sich wieder erholt hatte, verlangte er nach einem der strengen Beamten.
Das Gespräch war sehr kurz. Wir durften sofort einreisen. Wie beim letzten Mal entschuldigten sich die Beamten. Ob wir einen Tee wollten, fragten sie. Nein, ich wolle nur ins Bett, antwortete ich. Alles wie gehabt.
Fußball-Europameisterschaft in Damaskus
Den nächsten Tag verbummelten wir in Bab Tuma. Am Abend wollten Frédéric und ich in unserem Lieblingslokal »Haretna« das Endspiel der Fußball-Europameisterschaft zwischen Spanien und Italien anschauen. Obwohl ich dort fast schon Stammgast war, bekamen wir keinen Platz. Wegen des Endspiels war alles ausgebucht. So schlenderten wir ziellos durch die Gassen. Überall in den Cafés und Geschäften sahen wir TV -Geräte, die die Vorbereitungen des in wenigen Minuten beginnenden Spiels zeigten. Der Krieg schien vergessen. Es herrschte König Fußball.
In einem Hinterhof fanden wir Platz vor einem Fernsehgerät. Unter 60 meist jungen Syrern. Frédéric murmelte: »Das glaubt uns zu Hause wieder niemand. Dass wir in Damaskus das Endspiel um die Europameisterschaft angesehen
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