Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
überlegen Sie sich Ihre Fahrt nach Homs genau! Sie wurden gestern Abend im syrischen Fernsehen gezeigt. Sie haben die Bewaffnung der Rebellen durch das Ausland kritisiert. Auch Homser Rebellen sehen fern!«
Frédéric starrt ungläubig auf die E-Mail. Er ist fast wieder so still wie auf der Rückfahrt. Zum ersten Mal, seit wir in Syrien sind, bestellen wir eine ganze Flasche Rotwein.
»Gebt einander ein Zeichen des Friedens!«
Am nächsten Tag gehen wir noch einmal zum Freitagsgebet in die Umayyaden-Moschee. Diesmal werden wir sofort eingelassen. Prediger ist wieder der über die Landesgrenzen hinaus berühmte, greise Gelehrte Al-Buti. Wie in unseren Kirchen endet der Gottesdienst mit der Aufforderung: »Gebt einander ein Zeichen des Friedens.« Alle reichen sich die Hand. Es ist, als spürten wir den Atem Gottes: »Gebt einander ein Zeichen des Friedens!« Wie kommt es, dass Muslime, Christen und Juden vergessen haben, dass sie ein und denselben Gott anbeten? Manchmal mit denselben Worten.
Al-Butis Predigten werden wir nie mehr hören. Ein Jahr später, am 21. März 2013, wird der zerbrechliche 84-jährige Greis bei einem Anschlag in einer Moschee ermordet. Mit ihm sterben über 40 Gläubige einschließlich seines Enkels.
Am Abend besuchen wir in Bab Tuma die kleine St.-Theresa-Kirche. Fast unwirklich schöner Chorgesang, der bis auf die Straße klingt, hat uns angelockt. Auf der Empore proben junge irakische Christen Kirchenlieder von betörender Schönheit. Auf Arabisch. Selten habe ich einen so harmonischen Chor gehört. Schweigend lauschen wir.
Anschließend erzählen die irakischen Mädchen und Jungen von ihrer Heimat. Von Bagdad, Mossul, Ramadi, Falludscha, Babylon. Als ich sage, dass ich all diese Städte kenne, herrscht Begeisterung. Doch die jungen Iraker wollen nie mehr zurück. Mit Hunderttausenden ihrer Glaubensbrüder sind sie vor dem Chaos in ihrem Land nach Syrien geflohen. Um endlich in Frieden leben zu können. Doch wohin sollen sie fliehen, wenn nun auch Syrien im Chaos versinkt?
Das Interview mit Assad
Drei Monate später, Ende Juni 2012, wollte ich erneut nach Syrien. Ich wollte die Familie des ersten Todesopfers von Homs treffen. Angeblich war es kein Demonstrant, sondern ein Sicherheitsbeamter. Außerdem wollte ich mit Familien sprechen, deren Söhne bei Demonstrationen von staatlichen Sicherheitskräften erschossen wurden.
Zweieinhalb Wochen vor der Abreise erhielt ich sonntagabends den Anruf eines Bekannten des syrischen Präsidenten. Er fragte, ob mein Angebot, für die ARD ein Interview mit Assad zu führen, noch stehe.
Ich war sprachlos. War das nicht längst erledigt? Gegen meinen Beitrag über Assad im »Weltspiegel« hatte die syrische Regierung doch protestiert! Trotzdem schickte ich dem Chefredakteur der ARD , Thomas Baumann, eine kurze Nachricht. Ich wollte wissen, ob die ARD noch an dem Interview interessiert sei. Eine Stunde später – es war später Sonntagabend – kam die Antwort: »Ja.« Auch beim Deutschen Fernsehen gibt es bemerkenswert schnelle und helle Leute.
Es begannen zwei Wochen mühsamer Verhandlungen zwischen der ARD und der syrischen Regierung, die so tat, als wäre nie etwas gewesen. Da es keine direkten Kontakte gab, musste ich beide Seiten vertreten. Eine Aufgabe, die von Tag zu Tag schwieriger wurde. Die ARD hatte klare Vorstellungen von einem professionellen Interview. Die syrische Seite auch. Manchmal fühlte ich mich wie zwischen zwei Mühlsteinen. Mehrfach standen die Verhandlungen vor dem Scheitern. Nach zahllosen Telefonaten und Mails einigte man sich schließlich schriftlich auf ein ungekürztes Zwanzig-Minuten-Interview auf Englisch. Unter Live-Bedingungen.
Als alles geregelt war, verlangte die syrische Seite plötzlich, dass das Interview von syrischen Kameraleuten aufgenommen werden müsse. Ausländer dürften den Raum während des Interviews nicht betreten. Meine Forderung, wenigstens einen Redakteur der ARD und Frédéric in meiner Nähe zu haben, wurde abgelehnt. Die Sicherheitslage erlaube das nicht.
Ich war verärgert. Alleine dem syrischen Präsidenten und einem Dutzend syrischen Kameraleuten, Ton- und Beleuchtungstechnikern gegenübersitzen zu müssen war für mich ein Albtraum. Ich hatte mich fest darauf verlassen, dass irgendwo hinter Assad Frédéric stehen würde, um mir Zeichen zu geben: »Thema wechseln, nachfassen, ernster sein, unterbrechen, attackieren usw.!« Ich fing an, die Lust an dem Interview zu verlieren.
Mir war
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