Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
ansetzte, gab es wütende Kritik des Westens. Als er eine Volksabstimmung über eine neue Mehrparteien-Verfassung sowie freie Parlamentswahlen ankündigte, empörte sich selbst der im Syrienkonflikt meist maßvolle deutsche Außenminister. Das sei eine bösartige »Finte«, ein »taktisches Manöver«. Demokratische Anstrengungen Assads sind dem Westen ein großes Ärgernis. Sie gefährden den demokratischen Vorwand, unter dem er seinen antiiranischen Stellvertreterkrieg gegen Assad führt.
Wie ist es möglich, dass unsere aufgeklärte Öffentlichkeit ihren Politikern die Legende vom Kampf um Demokratie in der arabischen Welt abnimmt? Obwohl westliche Politiker von ihren diktatorischen Verbündeten Saudi-Arabien, Katar oder Bahrain nie demokratische, rechtsstaatliche Reformen gefordert haben. Wenn ich als junger Abgeordneter in den 70er-Jahren bei meinem Treffen mit dem saudi-arabischen König Faisal demokratische Reformen angemahnt hätte, wäre ich von meiner Partei sofort aller Ämter enthoben worden.
Deutsche Politiker nennen Saudi-Arabien, das demokratische Demonstranten ins Gefängnis wirft, das öffentlich enthauptet, steinigt und auspeitscht, das seine Frauen nicht Auto fahren lässt und das die Finanzierung des internationalen Terrorismus durch saudische Wohltätigkeitsorganisationen nicht wirklich bekämpft, »Stabilitätsanker« und »Sicherheitspartner«. Ohne rot zu werden. Sie liefern diesen bekennenden Diktaturen modernste Waffensysteme und Panzer. Obwohl sie wissen, dass diese Panzer eines Tages gegen das eigene Volk eingesetzt werden sollen. Und dennoch behaupten sie, sie kämpften in der arabischen Welt für Demokratie. Welche Scheinheiligkeit!
Die Aufgabe der USA
Die USA als Imperialmacht sowie als Schutzmacht Katars und Saudi-Arabiens könnten den syrischen Knoten noch immer lösen. Sie müssten allerdings bereit sein, mit Assad direkt zu verhandeln. Wie einst mit den Führern der Sowjetunion. Ronald Reagan war nie so naiv, von diesen zu verlangen, vor Friedensverhandlungen erst einmal zurückzutreten.
Wer Frieden will, muss mit den Mächtigen verhandeln und nicht nur mit den Ohnmächtigen. Dass Assad als Präsident »Blut an den Händen hat«, kann die USA nicht wirklich stören. Auch Obama hat als Präsident Blut an den Händen. Das Blut unschuldiger Afghanen, Pakistaner, Somalis, Jemeniten und auch Syrer.
Obwohl Assad nach unseren Kriterien – und auch für mich – ein Diktator ist, gehörte er immer zu den »gemäßigten« autoritären Herrschern der arabischen Welt. Assad war nie vergleichbar mit Saddam Hussein oder Gaddafi. Zumindest nach Auffassung führender westlicher Politiker.
Der ehemalige US -Präsident Jimmy Carter berichtete voller Respekt von seinen »nützlichen Gesprächen« mit der Assad-Familie und bezeichnete Baschar Al-Assad 2009 als »sehr intelligent, sehr kraftvoll und sehr populär«. 70 Hillary Clinton sah in ihm noch zu Beginn der Unruhen im März 2011 unter Verweis auf »viele Kongressmitglieder« einen »Reformer«. 71
All diese Lobeshymnen mögen Fehleinschätzungen gewesen sein. Aber in jedem Fall ist Assad nicht Hitler oder Pol Pot, deren Beseitigung automatisch ein Fortschritt für die Menschheit gewesen wäre. Auch kein Stalin. Vielleicht ein Putin.
Nur die USA könnten die vom syrischen Volk so heiß ersehnte Waffenruhe noch durchsetzen. Nur sie haben die Macht, für einen bestimmten Zeitraum die Geld- und Waffenlieferungen Saudi-Arabiens und Katars zu stoppen. Russland und Iran würden sich diesem Beispiel mit großer Wahrscheinlichkeit anschließen.
Die Waffenpause müsste für Verhandlungen Assads mit allen gesellschaftlichen Gruppen genutzt werden. Einschließlich der Exil-Opposition und der syrischen Rebellen, die ihre Waffen niederlegen. Ziel wären die Bildung einer paritätischen Übergangsregierung von Regierung und Opposition, die Erarbeitung einer demokratischen, rechtsstaatlichen Verfassung und die Vorbereitung international überwachter freier Wahlen.
Eine entschlossene Verhandlungsoffensive der USA wäre die erste wirkliche Friedenstat des Friedensnobelpreisträgers Barack Obama. Sie läge langfristig auch im Interesse der USA .
Aber vielleicht will Barack Obama im Mittleren Osten gar kein Friedensstifter sein. Vielleicht ist es für das amerikanische Imperium strategisch verlockender, mit Syrien einen wichtigen Verbündeten Irans im Chaos versinken zu lassen und damit die »Achse der Ungehorsamen« zu schwächen. Immerhin geht es um
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