Die namenlose Schoene
PROLOG
Sheriff Tucker Malone legte die Papiere aus der Hand, stand vom Schreibtisch auf, streckte sich und trat ans Fenster. Eine Frau namens Emma lenkte ihn viel zu sehr ab.
Halloween verlief in Storkville, Nebraska, für gewöhnlich sehr ruhig.
Nur einige schlimmere Streiche wurden gemeldet. Heute Abend war er länger im Büro geblieben für den Fall, dass er gebraucht wurde. Und es gab noch einen Grund. Es beunruhigte ihn, wie er auf eine Frau reagierte, die sich nicht einmal mehr an ihren Namen erinnerte. Zum Glück trug sie eine Halskette mit dem eingravierten Namen Emma darauf. Das war jedoch der einzige Anhaltspunkt für seine Nachforschungen.
Tucker Malone wandte sich vom Fenster ab und griff nach dem Foto der Frau, das auf dem Schreibtisch lag. Er hatte es selbst gemacht, um es per Fax in die umliegenden Städte zu schicken. Schließlich musste diese Frau an einen Ort gehören … und zu jemandem. Ein Straßenräuber hatte ihr die Handtasche sowie eine kleine Reisetasche abgenommen. Darin hatte sich alles befunden, womit man sie hätte identifizieren können. Nie mand in Storkville kannte sie, doch sie war bestimmt nicht weit gereist. Man hatte in der Stadt kein herrenloses Fahrzeug ge funden. Es war ein Rätsel.
Funkelnde grüne Augen blickten ihm vom Foto entgegen. Gelocktes dunkelrotes Haar umgab das Gesicht wie eine weiche Wolke. Die Haut war unbeschreiblich zart, und sie lächelte ganz reizend. Wann immer sie ihn ansah, wollte er sie beschützen und …
Nimm dich zusammen, ermahnte er sich. Finde heraus, wer sie ist, und schick sie zurück, wo sie hingehört.
Die letzten drei Tage hatte sie unter seinem Dach verbracht, und das trieb ihn allmählich zum Wahnsinn. Zwei Monate lang hatte Emma bei Gertie Anderson gewohnt. Gertie hatte den Raubüberfall und Emmas Sturz beobachtet. Nun war Gerties Familie unerwartet aus Schweden zu Besuch gekommen, und daher hatte sie keinen Platz mehr für Emma.
Ohne auch nur einen Moment vernünftig zu überlegen, hatte Tucker seine Gastfreundschaft angeboten.
Es war schon fast elf Uhr. Daher hoffte er, dass Emma bereits schlief, und nahm die Fliegerjacke von dem altmodischen Kleiderständer und den Stetson vom Haken an der Wand. Nachdem er sein Büro verlassen hatte, blieb er an einer offenen Tür stehen und wünschte Earl Grimes und Barry Sanchek eine ruhige Nacht.
Cora Beth Harper, die Telefon und Funkgerät versorgte, lächelte ihm zu, als er an ihrem Schreibtisch vorbeiging. „Sie haben lange gearbeitet.
Fahren Sie vorsichtig.” Cora Beth hatte pechschwarzes Haar, dessen Farbe vermutlich nicht echt war. Die rundliche Frau blieb in jeder Lage ruhig und bemutterte gern alle und jeden.
„Rufen Sie mich, falls Sie mich brauchen”, erwiderte er wie üblich und ging.
Der schwarze Streifenwagen des Sheriffs vom Cedar County stand am Straßenrand. Tucker holte die Schlüssel hervor und öffnete die Tür per Fernsteuerung. Während er einstieg, dachte er an die drei Jahre, die er nun in Storkville lebte, und an den relativen Frieden, den er hier gefunden hatte.
Die vorläufige Arbeit als Sheriff hatte vermutlich seinen Verstand und seine berufliche Laufbahn gerettet. Allerdings war diese Tätigkeit meilenweit entfernt von der Aufgabe eines verdeckten Ermittlers in Chicago. Den Einwohnern von Storkville hatte seine Arbeitsweise jedenfalls so sehr zugesagt, dass sie ihn für vier Jahre gewählt hatten.
Dieser Ort und seine Arbeit hatten seinem Leben wieder Halt und vielleicht sogar Bedeutung gegeben.
In den schwach erleuchteten Wohnvierteln, durch die Tucker seine Runde drehte, war alles ruhig und wie es sein sollte. Allerdings wusste er nur zu gut, dass es hinter geschlossenen Türen manchmal ganz anders aussah.
Kurz darauf bog er in die Zufahrt zur Garage, die an ein einstöckiges Haus angebaut war, und drückte die Fernsteuerung für das Tor.
Manchmal fragte er sich auch jetzt noch, wieso er ein so großes Haus gekauft hatte. Es war billig gewesen, weil es renoviert werden musste.
Und es wies drei Schlafzimmer und ein Bad im ersten Stock sowie ein Wohnzimmer, eine große Küche und ein kleines Arbeitszimmer im Erdgeschoss auf.
Außerdem hatte es einen Keller, der noch nicht fertig war.
Ganz sicher träumte er nicht von einer Familie. Mit der Unterschrift unter die Scheidungspapiere hatte er diese Hoffnungen begraben.
Eigentlich war das schon an jenem Abend ge schehen, an dem …
Hastig verdrängte er Erinnerungen, die er nicht ertrug, stellte den
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