Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Ahmadinedschad beispielsweise hat jahrelang keine Gelegenheit ausgelassen, genussvoll die Rolle des Finsterlings zu spielen. Seine Amtszeit war eine Aneinanderreihung unmissverständlicher und missverständlicher Provokationen. Er liebte es, den Westen bis zur Weißglut zu reizen. Er gab den Feinden Irans genau die Stichworte, die sie brauchten.
Dabei ist nicht einmal entscheidend, dass er den berüchtigten Satz »Iran wird Israel von der Landkarte tilgen« nie gesagt hat. In Wahrheit hatte er 2005 gesagt, genauso wie die Regimes des Schah, der Sowjetunion und Saddam Husseins untergegangen seien, müsse auch »das Regime, das Jerusalem besetzt hält, aus den Annalen der Geschichte getilgt werden«. So die amtliche Übersetzung des Sprachendienstes des Deutschen Bundestags. 76
Nie hat Ahmadinedschad gesagt, dass Iran beim Untergang des Regimes irgendeine Rolle spielen werde. Das iranische Außenministerium und selbst Ahmadinedschad haben im Gegenteil immer wieder ausdrücklich erklärt, Iran werde Israel nicht militärisch angreifen. 77
Der Westen pflegt – wie die imperialen Mächte aller Zeiten – Länder, die sich seinen strategischen Zielen nicht unterwerfen, als Parias, als Aussätzige der Weltgemeinschaft darzustellen, sie zu barbarisieren und zu dämonisieren. Der Gefahr, sein Urteil irgendwann korrigieren zu müssen, geht er dadurch aus dem Weg, dass er sich weigert, mit ihnen zu sprechen. Er hat, wie Jimmy Carter resigniert festgestellt hat, vor allem seit George W. Bush eine »fundamentalistische Abneigung gegen Verhandlungen mit Gegnern«.
Das gilt nicht nur für Iran. Als etwa Jimmy Carter 2005 auf einer Reise durch den Mittleren Osten auch Baschar Al-Assad besuchen wollte, zwang ihn die Bush-Administration, den Besuch wieder abzusagen. Assad sei beim Irakkrieg »nicht kooperativ« gewesen. Man landet schnell auf der »Achse des Bösen«, der »Achse der Ungehorsamen«. Wieder von ihr herunterzukommen ist schwerer.
Nach einer Weile beginnt der Westen in der Regel selbst an die Berechtigung seiner Dämonisierungskampagnen zu glauben. Das führt oft zu absurder Ignoranz.
Wer weiß im Westen denn noch, dass es in Iran Dutzende christliche Kirchen gibt, zehn jüdische Synagogen, ein großes jüdisches Krankenhaus und eine jüdische Gemeinde mit fast 25000 Mitgliedern? Dass die Christen und Juden Irans ihr iranisches Vaterland genauso lieben wie schiitische Iraner?
Ignoranz ist der Zwillingsbruder der Aggression. Einen Gegner, den man nicht kennt, den man sich jahrelang »zurechtdämonisiert« hat, überfällt man leichter. Die Unbefangenheit und Lässigkeit, mit der im Westen seit Jahren über einen Militärschlag gegen Iran diskutiert wird, lebt von dieser Ignoranz. Das Böse auf der Welt wird man ja wohl noch bekämpfen dürfen.
Da vergisst man schon einmal, dass Krieg nur ein anderes Wort für das »Erschlagen von Nachbarn« ist. Dass dabei immer auch Unschuldige getötet werden. Auch Kinder. Dass die »Entfesselung von Angriffskriegen« laut Robert Jackson, des Chefanklägers der Nürnberger Prozesse, »das größte internationale Verbrechen ist, das sich von anderen Kriegsverbrechen nur dadurch unterscheidet, dass es alle Verbrechen in sich vereinigt und anhäuft«. 78 Nach Artikel 26 des deutschen Grundgesetzes ist jede Unterstützung eines Angriffskriegs strafbar. Selbst seine Vorbereitung ist nach § 80 StGB unter Strafe gestellt.
Wie viele Deutsche empfinde ich Scham, dass wir jahrhundertelang – nicht erst mit dem Holocaust – die Würde der Juden mit Füßen getreten haben. Aber ich schäme mich auch dafür, wie wir mit der Würde der Muslime in der Welt umgehen. Und auch mit der Würde des iranischen Volkes. Das bedeutet nicht, dass ich die Politik der iranischen Regierung richtig finde.
Im Jahr 2007 hielt Präsident Ahmadinedschad an der Columbia University von New York eine Rede. Es gab lautstarke Proteste und Störmanöver. Ahmadinedschad lud daraufhin seine westlichen Zuhörer ein, die Universitäten seines Landes zu besuchen. Dort würden sie ganz anders behandelt. Er sagte: »Wir werden Ihnen die Plattform bieten. Wir werden Sie zu 100 Prozent respektieren.«
Ich dachte, was für amerikanische Studenten und Professoren gilt, könnte eigentlich auch für mich gelten. Ich bat den iranischen Botschafter in Deutschland, Ali Reza Sheikh Attar, um die Möglichkeit einer Vorlesung an einer Teheraner Universität. Er fragte mich, ob ich auch die Diplomatenschule von Teheran für
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