Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
höflich, doch bestimmt. Am deutlichsten wird ein Student aus den hinteren Reihen. Nicht die »Holocaust-Konferenz« sei eine Schande, sondern »meine Rede als Gast dieses Landes«. Der Westen solle erst einmal die Art seines Umgangs mit Iran ändern. Dann fände man auch Lösungen für die anderen Fragen.
Doch es gibt auch positive Stellungnahmen. Wenn auch mit der gebotenen diplomatischen Zurückhaltung. Einige Studenten kommen nach dem Vortrag zu mir, um leise zu sagen: »Danke. Sie haben getan, was Sie konnten. Mehr ging nicht.« Insgesamt war die Reaktion respektvoll – und als der offizielle Teil beendet war, fast herzlich.
Bei den Ayatollahs von Ghom
Meine anschließenden Gespräche in Ghom, dem geistlichen Zentrum Irans, waren ähnlich direkt. Professoren der Bagher-Al-Olum-Universität erzählten mir ganz offen, dass die Mehrheit der iranischen Mullahs dagegen sei, dass das Land politisch von Geistlichen geführt werde.
Dem 85-jährigen Nasser Makarem Schirazi, der laut Bednarz zur »Kaiserklasse« der Großayatollahs gehört, versuchte ich zu erklären, dass die iranische Führung an dem weltweiten Misstrauen gegen das Land kräftig mitschuld sei. Er schaute mich nachdenklich an und nickte. »Das stimmt leider. Ich werde mit Religionsführer Chamenei darüber sprechen.« Schirazi war aufmerksam und verständnisvoll.
Schwieriger gestaltete sich die Diskussion mit Großayatollah Abdullah Javadi Amoli. Er hatte in seinem Empfangssaal mehrere Fernsehkameras aufbauen lassen und traf mit großem Gefolge ein. Als ich ihm einleitend meine Sorge mitteilte, dass Ahmadinedschads aggressive Provokationen den Islam ähnlich beschädigten wie Bin Ladens Terrorismus, schaut er mich wie vom Donner gerührt an. Dann gab er den Technikern ein Zeichen, Scheinwerfer, Kameras und Mikrofone auszuschalten, und stand auf. Er habe nicht vor, sich auf diese Diskussion einzulassen, ließ er mir mitteilen und verließ den Raum. Das »Gespräch« dauerte keine zwei Minuten.
Zwar eilten enge Vertraute des Großayatollahs sofort herbei und versuchten, den Eklat als Missverständnis herunterzuspielen. Aber ich hatte diesen harten Vergleich bewusst gewählt. Ich wollte klarmachen, welch verheerende Auswirkungen Ahmadinedschads verbale Provokationen weltweit hatten. Manche Sätze sind explosiver als Sprengladungen.
Ich schildere dies, um zu zeigen, dass ich sehr wohl Vorbehalte gegen die iranische Politik habe. Aber auch meine Vorbehalte gegenüber der westlichen Iranpolitik sind groß. Vor allem in der Nuklearfrage.
Der nukleare Wahnsinn
Jimmy Carter schreibt in seinem Buch Our Endangered Values 2005: »Weltweit gibt es fast 30000 Nuklearwaffen. Die USA besitzen etwa 12000, Russland 16000, China 400, Frankreich 350, Israel 200, Großbritannien 185 und Indien sowie Pakistan je 40.« 79 Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI geht 2013 »nur« noch von insgesamt 17270 Atomsprengköpfen aus. 80 Doch auch mit ihnen könnte man die Menschheit rein rechnerisch mehr als zehnmal vernichten.
Ich halte inzwischen, wie Ronald Reagan, alle Nuklearwaffen für »völlig irrational, völlig inhuman, zu nichts zu gebrauchen außer für das Töten und für eine Gefahr für unsere Zivilisation«. 81 Der 2009 verstorbene Ex- US -Verteidigungsminister Robert McNamara nannte die amerikanische Nuklearwaffenpolitik »unmoralisch, illegal, militärisch nutzlos und lebensgefährlich«. 82
Als ich mich als junger Abgeordneter mit McNamara in New York traf, sagte er mir: »Wenn Sie Ihre Kinder lieben, müssen Sie mithelfen, dass dieses unkontrollierbare Teufelszeug aus den Waffenarsenalen aller Länder verschwindet. Nuklearwaffen sind die größte Gefahr für das Überleben der Menschheit.« Und nicht, wie Churchill 1945 nach dem ersten Atombombenabwurf meinte, »ein barmherziges Mittel zur Abkürzung eines Blutbads«. 83
Im Grunde ist es fast unverfroren, wenn die USA und Israel mit ihren Tausenden »unmoralischen« Atomwaffen Iran einen Militärschlag androhen, falls dieses Land sich möglicherweise ebenfallseine, zwei oder drei dieser Waffen anschaffen sollte. Waffen, die Iran nie einsetzen könnte, ohne einen alles vernichtenden Gegenschlag zu provozieren. Wenn Atomwaffen – wie ich glaube – tatsächlich eine Gefahr für die Menschheit sind, darf man sie nicht nur einem Land untersagen. Man muss sie allen verbieten.
Helmut Schmidt, Michel Rocard, James Callaghan, Pierre Trudeau und Michail Gorbatschow, die ehemaligen Regierungs- und
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