Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
darauf. Sieben Schuss, sieben Treffer! Eine saubere Leistung, denke ich bitter. Im Wüstensand liegt eine dicke Wolldecke. Es war kalt an jenem Nachmittag des 14. März. Daneben eine Weinflasche. Der Mörder hatte es sich gemütlich gemacht, als er die sieben Fahrzeuge in Flammen schoss. Khaldoun, der uns schließlich doch noch mit Julia auf dem Eselspfad gefolgt ist, wirft die Flasche voller Verachtung weit weg.
Wortlos fahren wir zu den Autowracks zurück. Julia und ich suchen die Düne, hinter der wir fast vier Stunden bombardiert wurden. Wir finden sie nicht. Alle Dünen sehen hier ähnlich aus. Vielleicht war das unsere Rettung. Stattdessen entdecken wir in der Gegend, in der wir lagen, Hunderte Raketen, Granaten und schwere Artilleriegeschosse. Ich frage Ahmad, warum die Truppen Gaddafis so viel Munition auf uns verfeuert hätten. Experten in Deutschland hätten errechnet, dass die Beschießung bis zu einer halben Million Dollar gekostet hätte. Ahmad schaut mich lange an. »Weil sie keine Zeugen wollten.«
Es wird dunkel. Ich stehe mit Ahmad wieder neben Abdul Latifs Autowrack. Ahmad ist seit unserer erneuten Rückkehr nach Bengasi kaum von meiner Seite gewichen. Jeden Wunsch hat er mir erfüllt. Er hat versucht, mir die gleiche Gastfreundschaft zu schenken wie sein Bruder. Ich lege meinen Arm auf seine Schulter und gehe mit ihm ein paar Schritte in die Wüste. Ich weiß, dass ich hier noch einmal mit ihm sprechen muss. Ich werde mit dem Tod Abdul Latifs nicht fertig. Ich hätte so gerne alles anders gemacht.
Ich frage ihn: »Ahmad, was habe ich falsch gemacht? Bitte, sag es mir. Hier sind wir ganz allein.« Ahmad antwortet ernst: »Ihr im Westen könnt das wahrscheinlich nicht verstehen. Aber die Tage vor seinem Tod waren die glücklichsten Tage in Abdul Latifs Leben. Er war stolz, die Revolution mit Ihnen gemeinsam zu erleben. Ihr Freund zu sein. Ideen zu entwickeln, wie man diesen Krieg friedlich beenden könnte. Er hatte keine Waffe, er hat niemanden getötet. Er ist für sein Land und für seine Träume gestorben. Er ist ein Held. Ein friedlicher Held. Wir sind alle stolz auf ihn.«
»Aber ohne die Fahrt nach Brega würde er noch leben«, erwidere ich. »Nein«, sagt Ahmad entschieden. »Seine Stunde war gekommen.« Aus dem Wind ist ein Sturm geworden. Ahmad und Khaldoun knien neben dem Auto Abdul Latifs und beten.
Am Abend präsentiert uns Ahmad zu Hause eine Überraschung. Zwei seiner Schwestern haben Jungen zur Welt gebracht. Stolz legen Ahmad und Khaldoun die Buben auf Julias Schoß. Beide heißen Abdul Latif. Auch in der Nachbarschaft wurden drei Neugeborene nach ihm benannt. Abdul Latif wird nie vergessen werden. My smiling hero. Mein lächelnder Held.
100 Vgl. u. a. »Die Quelle des Krieges«, in: Der Spiegel , Nr. 22, 24. Mai 2004
101 Siehe »US defence secretary Robert Gates slams ›loose talk‹ about no-fly zones«. In: The Guardian , 3. März 2011, http://www.guardian.co.uk/politics/2011/mar/03/robert-gates-dismisses-no-fly-zone
102 Vgl. »Defense Secretary: Libya Did Not Pose Threat to U.S., Was Not ›Vital National Interest‹ to Intervene«. In: ABC News, 27. März 2011, http://abcnews.go.com/International/defense-secretary-libya-pose-threat-us-vital-national/story?id=13231987#.Ub-BrI4RvaM
103 Ebd.
104 Gustave Le Bon: La Révolution Française et la Psychologie des Révolutions , Paris 1912, S. 239 f.
105 Zumindest nach Aussagen ihres ersten Generalsekretärs Hastings Lionel Ismay. Vgl. Herfried Münkler: Imperien , Berlin 2005, S. 58; Alexander Demandt: Kleine Weltgeschichte , München 2004, S. 313
Orts- und Sachregister
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Abu-Salim-Gefängnis
»Achse der Ungehorsamen«
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Al-Nusra s. Nusra, Al-
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