Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Behausungen verkrochen. Wie sie zum Himmel flehten, nicht für die Taten eines saudiarabischen Millionärs büßen zu müssen. Den die CIA jahrelang gefördert hatte und dessen Namen die Afghanen erst seit ein paar Tagen kannten. 99 Prozent der afghanischen Bevölkerung hatten noch nie etwas von Al-Qaida gehört.
Afghanistan war eines der am meisten geschundenen Länder der Welt. Nirgendwo gab es mehr Waisenkinder, mehr Witwen, mehr von Minen entstellte Kinder. Das ganze Land war eine einzige offene Wunde.
Warum musste nun auch noch das große Amerika auf das am Boden liegende Afghanistan einschlagen? Mein Amerika, das ich in vielem so bewunderte. Der Westen verdankt den USA so viel. Auf dem Gebiet der Naturwissenschaften, der Kunst, der Musik, der Literatur, des Sports, der Volkswirtschaft. Wir Deutsche verdanken Amerika Frieden und Freiheit.
All das werde ich nie vergessen. Auch nicht die »Schulspeisung«, die kleinen Schokoladenstücke, die wir als Kinder von amerikanischen Familien erhielten. Wenn ich an Amerika denke, habe ich manchmal noch heute den Geschmack von Schokolade im Mund.
Amerikanische Pfadfinderinnen, die ich als Reiseleiter durch Europa gelotst hatte, hatten mich zum einzigen männlichen »Ehren-Girlscout« der Welt ernannt. Die US -Streitkräfte meines Wahlkreises Kaiserslautern hatten mich zum amerikanischen »Ehrenoberst« befördert. Ich habe in den USA viele Freunde, fabelhafte Menschen.
Ich konnte den schockartigen Zustand verstehen, in dem sich die meisten Amerikaner am 11. September 2001 befanden. Die USA waren es, im Unterschied zu anderen Ländern, nicht gewöhnt, dass Bomben in ihren Städten einschlugen. Ihre Kriege fanden fast immer in sicherer Entfernung statt. Ein Angriff auf Washington und Manhattan – auf das politische und das wirtschaftliche Zentrum Amerikas – war für sie undenkbar gewesen. Außerdem waren die Terroranschläge von Al-Qaida an diabolischer Grausamkeit nicht zu überbieten. Dennoch hoffte ich verzweifelt, dass die USA besonnen und gerecht auf die Anschläge reagieren würden.
In meiner Familie setzten heftige Diskussionen über das Wie der Reaktion ein. Und darüber, wie ich mich verhalten sollte. Gegen den Afghanistankrieg der Sowjetunion hatte ich leidenschaftlich protestiert. Musste ich jetzt nicht auch gegen meine amerikanischen Freunde auf die Barrikaden gehen? Konnte ich tatenlos zuschauen, wie Amerikaner oder Deutsche in Afghanistan einmarschierten und Menschen bombardierten, die ich liebte? Amerikanische und deutsche Soldaten in Afghanistan – für mich war das eine absurde Vorstellung.
Also übergab ich in der gebotenen protokollarischen Form dem amerikanischen Botschafter in Bonn einen an George W. Bush adressierten Brief. Darin bat ich diesen, nicht die unschuldige afghanische Bevölkerung für die Mordtaten internationaler Terroristen büßen zu lassen.
Auch Talibanführer Mullah Omar, von dem ich wusste, dass er mich kannte, ließ ich durch einen hochrangigen Boten einen Brief übermitteln. Ich forderte ihn auf, eine Trennlinie zwischen afghanischer Tapferkeit und saudisch-ägyptischem Terrorismus zu ziehen. Wenn die USA Beweise für die Täterschaft Bin Ladens vorlegten, müsse Mullah Omar ihn aus dem Land weisen. Afghanistan müsse sich im Kampf gegen den internationalen Terrorismus an die Seite der USA stellen.
Weder George W. Bush noch Mullah Omar beantworteten die Briefe. Warum auch? Alles war längst entschieden.
Die Schura-e-Ulema, der Rat der afghanischen Religionsgelehrten, forderte Bin Laden zwar auf, das Land freiwillig zu verlassen. Selbst die Taliban-Regierung signalisierte, dass man über eine Auslieferung an ein neutrales Land sprechen könne, wenn die USA schlüssige Beweise für die Täterschaft Bin Ladens vorlegten. Doch der amerikanische Präsident hatte längst beschlossen, Afghanistan anzugreifen. Egal, was die Afghanen mit Bin Laden machten. Die Pläne dazu lagen seit Jahren in den Schubladen der Neokonservativen. Afghanistan ist geostrategisch eines der interessantesten Länder Zentralasiens.
Mein alter Bekannter Abdul Haq, Paschtunenführer und Freund Amerikas, hatte George W. Bush zwar mehrfach persönlich erklärt, dass die Paschtunen das Problem Bin Laden und das Problem der Taliban selbst lösen wollten. Mit einem mit Dollars beladenen Esel komme man in Afghanistan weiter als mit jeder Panzerarmee.
Über 600 Milliarden Dollar kostete der Afghanistankrieg bisher allein die USA . 10 Hätten sie – wie Abdul
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