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Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Todenhöfer
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Tragödie, in die Syrien mit freundlicher Unterstützung des Auslands fast unaufhaltsam hineinschlittert. Am Straßenrand erblicke ich einen großen Fußball. Ich spüre das unwiderstehliche Bedürfnis, meine ganze Wut an diesem Ball auszulassen. Ihn irgendwohin, weit weg zu schießen. Ich nehme einen kurzen Anlauf, hole aus – doch Julia schreit schrill: »Stopp, stopp!«
    Da sehe ich, dass der Fußball eine alte Steinkugel ist, an der ich mir um ein Haar den Fuß zertrümmert hätte. Und wenn schon, denke ich wütend. An irgendetwas muss ich meine Wut auslassen. Darüber, dass dieses wunderbare Land ins Chaos getrieben wird und viele seiner Nachbarn sich die Hände reiben. Dass kein führender westlicher Politiker einmal selbst nach Damaskus fliegt, um sich ein Bild der Lage zu verschaffen. Jetzt, wo man die Katastrophe noch verhindern könnte. Wir schreiben Mai 2011.
    Nachts in meinem Hotel lese ich im Internet, dass im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen »nur« noch Russland und China aufseiten Assads stünden. Die Meldung ist typisch für unsere Selbsteinschätzung. In Russland und China leben 1,5 Milliarden Menschen. In den USA , Großbritannien und Frankreich nur 450 Millionen. Wir sind nicht allein auf dieser Welt. Richtig ist, dass der Westen mächtiger ist als andere. Aber könnte er diese Macht nicht auch nutzen, um Frieden zu schaffen?
    Hohn in Deutschland
    In Deutschland muss ich mich der Kritik der Öffentlichkeit und meiner Freunde von der syrischen Exil-Opposition stellen. Meine Schilderungen seien naiv und lächerlich. In Damaskus könne kein Tourist normal spazieren gehen. Ich sei mit Sicherheit ständig vom Geheimdienst begleitet worden. Wahrscheinlich habe man ganze Viertel für mich geräumt und in Potemkin’sche Dörfer verwandelt.
    In Daraa hätten mich auf dem Wochenmarkt höchstens Geheimdienstler angelacht. Dort herrsche Krieg. Wahrscheinlich habe man meinetwegen die Panzer zurückgezogen. Alles sei für mich »gestellt und inszeniert« worden. Vielleicht sei ich gar nicht in Daraa gewesen.
    Assad habe in Wirklichkeit kaum noch Anhänger. Das sei meine größte Lüge. Außer den alawitischen und christlichen Minderheiten stehe schon lange niemand mehr hinter ihm. Man fragt mich, wie viel mir die syrische Regierung für derartige Äußerungen zahle. Leserbriefschreiber vermuten, ich sei Agent oder Mitglied einer verbotenen Geheimloge. Die Morddrohungen häufen sich.
    Die kritischsten Fragen aber stelle ich mir selbst. Möglicherweise war wirklich einmal ein Gesprächspartner in einem Café, einem Geschäft oder auf der Straße Mitglied des Geheimdienstes. Aber größere Inszenierungen sind bei meiner Art zu reisen schwierig. In der Regel kennt keiner außer mir meine konkreten Pläne. Auch nicht meine Begleiter. Ich halte meist ein altes Taxi an und fahre los. Irgendwohin. In die Altstadt, in Vororte, auf Märkte. Dort befrage ich Verkäufer, Studenten, junge Männer, junge Frauen. Wenn es geht, alleine. Ohne ihre Freunde oder Kollegen. Auf Englisch, unter vier Augen. Oder unter sechs Augen mit meinem Dolmetscher.
    Natürlich konnte man in Daraa für mich die Panzer abziehen. Aber solch ein Aufwand meinetwegen? So etwas würde man vielleicht beim Besuch des UN-Generalsekretärs veranstalten. Aber bei mir? Hätte dann unser Fahrer nicht einen funktionierenden Passierschein gehabt? Wären wir in Daraa über eine Stunde festgenommen worden? Die Maschinenpistole, die unserem Fahrer die Nase kitzelte, sah nicht wie eine Attrappe aus.
    Vielleicht liege ja nicht ich falsch, sondern manche westliche Politiker und Medien. Wie in anderen Krisen zuvor. Zum Beispiel im Irakkrieg. Kann man vom heimischen Sessel aus die Krisenherde dieser Welt beurteilen? Wenn der Westen seine erfolgreichste Massenvernichtungswaffe einsetzt, die Lüge?
    Auf der Suche nach der Wahrheit
    Staatsfeind
    Irgendwann werden meine Selbstzweifel so groß, dass ich beschließe, noch einmal nach Syrien zu reisen. Ende Oktober 2011 sitze ich erneut in einer Maschine nach Damaskus. Allerdings nur mit der Hälfte unseres Gepäcks. Julias sieben Sachen sind auf der Lufthansa-Kurzstrecke München – Frankfurt abhanden gekommen. Erst nach einer Woche taucht ihr Koffer, den sie unter meinem Namen aufgegeben hatte, wieder auf. Alle Computerfestplatten fehlen. Das wäre nicht der Rede wert, wenn nicht von nun an auf jeder zweiten Reise nach Syrien mindestens ein Koffer verschwinden würde. Manchmal für bis zu drei Wochen.
    Im Flugzeug

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