Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
altarabischen Hotel Beit Zafran wartet das Personal sehnsüchtig auf uns. Wir sind die einzigen und letzten Gäste. Seit Monaten ziehen die Mitarbeiter des Hotels jeden Morgen ihre schicke Arbeitskleidung an, um sich auf den Tag vorzubereiten. Obwohl auch dieser Tag wieder nur aus Stornierungen und der Pflege leerer Gästezimmer bestehen wird. Einst sind hier Bryan Adams und Alfons Schuhbeck abgestiegen. Schuhbeck hat es so gut gefallen, dass er den Koch gleich mitgenommen hat. Doch das war vor den Unruhen. Nach unserer Abreise wird der Eigentümer das Hotel schließen müssen. Die Mitarbeiter haben keine Chance, eine vergleichbare Stelle zu finden. Krieg trifft immer die Falschen.
Maaloula – ein aramäisches Märchen
Überall in unserem Hotel stehen Bücher des vor allem in Deutschland berühmten syrischen Schriftstellers Rafik Schami. In deutscher Sprache. Julias Augen leuchten. Sie liest alle seine Bücher. Offiziell sollen sie in Syrien verboten sein. Angeblich darf der große Poet Syrien auch nicht besuchen. Seit 1970 lebt er im Exil. Noch vor der Machtergreifung der Assads hatte er das Land verlassen. Weil er an der Zensur der Vorgängerregierung zu ersticken drohte.
Julia fühlt sich inmitten all dieser Bücher richtig wohl. Ihr Vater ist der Bruder von Rafik Schamis Frau. Julia ist seine angeheiratete Nichte. Deshalb will sie unbedingt nach Maaloula, jener Stadt, in der ihr Onkel aufwuchs. Und in der sein berühmter Roman Die dunkle Seite der Liebe beginnt. Außerdem ist Maaloula einer der wenigen Orte der Welt, in dem noch Aramäisch – die Sprache Jesu – gesprochen wird.
Die Fahrt am nächsten Nachmittag dauert lange. Weil der Fahrer nie schneller als 60 Stundenkilometer fährt. Und häufig mit seiner Freundin telefoniert und dabei die Geschwindigkeit fast auf Gehtempo drosselt. Er scheint sehr verliebt zu sein.
Nach drei Stunden verwandelt sich die flache Ebene in eine immer enger werdende Berglandschaft. Maaloula taucht auf, 1500 Meter hoch, von Felsen umschlungen. Die an die steilen Hänge geschmiegten Häuser scheinen die Bergkämme erklimmen zu wollen. Die ins Gestein gehauene Kirche ist eine der ältesten der Welt.
Aramäisch, arabisch und englisch sprechende Einwohner begleiten uns durch den zauberhaften Ort. Sie führen uns zu einer kilometerlangen, kalkweiß-beige-braunen Schlucht, die sich schlangenförmig durch das Gestein windet. Der blaue Himmel ist hier nur noch durch einen Spalt zu erkennen. So eng stehen die hohen Felsen beieinander, die einst von reißenden Wassern durchtost wurden.
Bald neigt sich die Sonne. Die Häuser im Schoß der Felsen verfärben sich tieforange. Es ist Zeit zu gehen. Unser Fahrer fotografiert sich noch schnell von allen Seiten für seine Freundin. Dann geht es zurück nach Damaskus. Auch jetzt telefoniert er ständig mit seiner Verlobten. Wir fahren Schritttempo. »Noch etwas langsamer, und wir stehen«, murre ich milde. Doch gegen diese Liebe ist kein Kraut gewachsen. So genießen Julia und ich den Blick auf das nächtliche Damaskus, das glitzernd und funkelnd vor uns liegt. Die Revolution scheint weit weg zu sein – obwohl sie schon vor acht Monaten begann.
Vor dem Schlafengehen bummeln wir noch einmal durch die schmalen Gassen der Altstadt. Es ist, als gäbe es hier keine Türen. Man riecht, was gekocht wird, und hört, was im blumengeschmückten Innenhof gesprochen wird. Kräuter und Gewürze duften durch die Ritzen der alten Häuser. Wir sehen einen Schreiner, versunken in das Abschleifen einer Tischplatte, einen Polsterer, der, auf einem frisch bezogenen Sofa sitzend, stolz eine Zigarre raucht. Und einen Bäcker, der dampfendes Brot aus dem Ofen zieht und einem wartenden Kunden reicht.
Auf dem Nachhauseweg kommen wir an einem Trödelladen vorbei. Hier gibt es Geldscheine längst vergangener Zeiten. Libysche Dinare mit dem Jugendbildnis Gaddafis, irakische Dinare mit dem Foto Saddam Husseins, iranische Rials mit Abbildungen des Schahs von Persien und Ayatollah Khomeinis und kubanische Pesos mit dem Gesicht Che Guevaras. Was ist aus all diesen Herrschern und Revolutionären geworden? Lohnt sich die Herrschaft über Leben und Tod – auf Leben und Tod? Assads Bild gibt es nicht auf Banknoten. Eine kluge Entscheidung, meint Julia. Für ein paar Euro kaufe ich einige der alten Geldscheine.
Im Taxi nach Homs und Hama
Am nächsten Morgen bestellte ich über unser Hotel einen Minibus samt Dolmetscher. Eine Stunde später war der mehrsprachige Fahrer im
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