Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Staatspräsident Assad. Er werde ihm sagen, welche Esel es bei den Geheimdiensten gebe. Das werde ein Nachspiel haben.
Natürlich wird er bei der Audienz nichts sagen, denke ich. Und selbst wenn, wird das Assad nicht interessieren. Auch bei meinen Reisen in die USA bin ich mehrfach stundenlang verhört und auch schon vorläufig festgenommen worden. Kein Mensch interessiert sich dafür. Deshalb erwidere ich müde: »Genau, Sie werden Assad den Marsch blasen! Und der wird sich dann mit seinen Geheimdiensten anlegen.« Dann muss ich ausgiebig gähnen.
»Sie irren sich«, antwortet Salem. Doch als er sieht, dass ich mich ganz meiner Müdigkeit hingebe, schweigt er gekränkt. Immerhin hatte er für mich wie ein Löwe gekämpft. Enttäuscht entschwindet er mit einem Taxi Richtung Stadtzentrum. Ich vermute, dass wir uns vorerst nicht mehr sehen werden.
Demonstrationen für Assad?
Am nächsten Tag machen Julia und ich eine Stadtrundfahrt. Wie üblich mit einem kleinen Taxi. Auf den Straßen kommen uns Scharen gut gelaunter, Fahnen schwenkender Syrer entgegen. Ausgelassen und fröhlich wie nach einem Fußballspiel. Sie singen revolutionäre Parolen. Aber nicht gegen, sondern für Assad. Sie kommen vom Umayyaden-Platz, einem der größten Plätze von Damaskus. Wir bitten den Fahrer, uns dorthin zu fahren.
Auf dem Umayyaden-Platz herrscht eine Stimmung wie auf dem Oktoberfest. Die Baath-Partei oder die Regierung selbst hat eine riesige Pro-Assad-Demonstration organisiert. Doch von Zwang ist nichts zu spüren. Zwei Millionen Menschen sollen es morgens gewesen sein. Jetzt, nachmittags, sind es mindestens noch eine Million. Selbst auf dem Tahrir-Platz in Kairo habe ich keine größere Demonstration erlebt.
Viele Menschen tanzen. Auch ich werde mehrfach zum Tanzen aufgefordert. Das bringt mir strafende Blicke Julias ein. Sie meint, ich hätte neutral zu bleiben. So muss ich leider alle Einladungen ablehnen. Obwohl manche der Mädchen hübsch und gut gelaunt sind. Der Platz ist ein Fahnenmeer. Über uns dreht ein Militärhubschrauber mit einem Kamerateam seine Runden. Als sich Soldaten in die offene Tür setzen und herunterwinken, jubeln die Hunderttausende. Von einem Podium werden Parolen in die Menge gerufen: »Assad, Demokratie – Assad, Freiheit.« Und von den Menschen hunderttausendstimmig erwidert. »Sind das alles bezahlte Jubelsyrer?«, fragt Julia und reibt sich die Augen.
Die Menge wird über Lautsprecher aufgefordert, die Facebook-Seite der Regierung zu besuchen. Mubarak und Gaddafi hingegen hatten das gesamte Internet gesperrt. »Verdammt gut organisiert!«, denke ich. Doch nicht alles scheint gesteuert zu sein. Vieles wirkt spontan. Vor allem die Freude und Herzlichkeit, mit der gefeiert wird und die man auch uns entgegenbringt. Wir sind allerdings auch die einzigen Westler auf dem Platz. Vielleicht werden wir nur deshalb so herzlich begrüßt.
Das westliche Fernsehen, Al-Dschasira und Al-Arabiya werden von dieser staatlich organisierten und dennoch erstaunlich lebendigen Großdemonstration abends nichts zeigen. Westliche Online-Dienste berichten von einigen wenigen zehntausend Menschen. Wenn am selben Tag im Stadtzentrum von Damaskus auch nur 100 Studenten gegen Assad demonstriert und darüber ein Video produziert hätten, wäre es um die ganze Welt gegangen. So feiern die Assad-Anhänger für sich allein. Es gibt sie offiziell ja gar nicht.
Auf einer der 14 abgesperrten Straßen, die sternförmig vom Umayyaden-Platz ausgehen, liegt eine mehrere hundert Meter lange Fahne. Angeblich die größte Fahne der Welt. Hier kann jeder seinen Wunsch eintragen. Manche schreiben nur den Vornamen ihrer Freundin oder ihres Freundes darauf. Ich denke an John Lennon und schreibe: »Give peace a chance – Gebt dem Frieden eine Chance.« Ein junger Mann fragt, warum ich nicht »mit Assad« dazuschreibe. »Weil mir das völlig egal ist«, erwidere ich. Frieden finde ich mit jedem Staatspräsidenten gut.
Abends sitzen wir in einer Kneipe des Christenviertels mit jungen Syrern vor dem Fernseher. Musikvideos zeigen die syrische Variante des amerikanischen Traums: Ein junger Mann in Jeans und T-Shirt gibt sich singend seinem Herzschmerz hin. Gleichzeitig weint eine nach westlichem Schönheitsideal gestylte Syrerin im BMW -Cabriolet ihrer zerbrochenen Liebe nach. Die meisten jungen Syrer haben die gleichen Träume wie junge Menschen im Westen. Freund, Freundin, Auto, Haus. Und nicht viel mehr.
Es ist spät. In unserem
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