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Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Titel: Du stirbst nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Schmidt
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gezeigt. Helene hatte sich nicht anders zu helfen gewusst, als sich vieltausendmal zu entschuldigen, woraufhin Viola etwas gnädiger ausgesehen hatte, bis sie beide beschlossen, sich ein Café zu suchen. Auf dem Weg dorthin war Helene bemüht gewesen, die Konzeption des geplanten Artikels zu erläutern und ihr Interesse an Violas Version einer Zwangsscheidung zu bestärken. Viola aber schwieg. Umständlich pellte sie sich aus dem Parka, als sie ein kleines, ruhiges Lokal gefunden hatten. Helene meinte inzwischen, Unsicherheit hinter ihrer herablassenden Art auszumachen. Also griff sie zu, hielt den Parka am Kragen, Viola kam nun leichter heraus. Offensichtlich saß das Ding sehr eng.
Viola bestellte sich zwei kleine Kräuterschnäpse, dazu ein großes Bier, während Helene viel Zeit in einem Milchkaffee verrührte. Zeit, die sie ihrer Jüngsten abgenommen hatte – sie hatte Lottchen für jenen Nachmittag bei einer Freundin gelassen. Zu fragen erschien ihr sinnlos, also wartete sie auf die vermutlich auch von Viola erhoffte Wirkung des Zinnaer Klosterbruders. Der Kerl in Viola faszinierte sie, sie empfand Scham darüber, wie sie vorhin Schuld empfunden hatte, Scham und Schuld, geschwisterliche Verfühlungen, deren Grund nicht in ihr auszumachen war, wie sie fand, und sie nötigte sich, ein irgendwie heiteres Gesicht aufzusetzen, das aber nun doch errötete, fleckenweise, streckenweise, sie spürte genau, wo das Rot hinaufkroch vom Hals her, als hätte sie Wein getrunken, ihre Hand zog den Rollkragen des Pullovers höher, über das Kinn, sie vergrub sich darin und hoffte, Viola möge zum Fenster hinausschauen.
Viola schaute zum Fenster hinaus.
Wahrscheinlich litt sie an Rosazea. Um den Mund herum zeigten sich stecknadelkopfgroße Eiterpusteln, die auf der entzündlich aufgetriebenen Haut residierten, als wüssten sie, dass ihnen nur schwer beizukommen war. Wenn diese Situation hier Stress war, würde sich die Hautreaktion vermutlich verstärken. Zu Scham und Schuld gesellte sich Mitleid. Innerhalb dieser Gefühlstriade war Helene, als müsste sie unmerklich verschwinden, um nicht in deren Kämpfe verwickelt zu werden. Unangenehme Konstellation. Viola trug das Kinn hoch, die Augen blickten so in der Tat von oben herab auf das platte Volk ringsum, und dass ihnen nichts entging, schien Helene eine mühselig erlernte Fähigkeit zu sein. Die Violaaugen huschten. Flitscherten. Flitzten. Schwirrten. Hasteten. Holten aus. Schlugen zu. Solch einen Schlag bekam auch Helene zu spüren, als sich ihr Blick wider Willen an Violas Brüsten aufhielt, die nicht groß, aber wirklich da waren, sogar einen BH konnte man an der rückseitigen Einkerbung erkennen. Wenn sie solch intuitives Gestarre immer aushalten musste, verwunderten weder Rosazea noch Kinnhaltung. Sie hätte sich ohrfeigen können.
Immer weiter rührte sie Zeit in den Kaffee.
Viola begann nach fünfundzwanzig Minuten – Helene hatte die Uhr im Blick, die über der Kuchenvitrine tickte – von ihren Kindern, die sie seit fünf Jahren nicht mehr gesehen habe. Die beiden Jungen wohnten gar nicht so weit entfernt von ihr, in einem Dörfchen im Teltow-Fläming-Kreis. Manchmal sei Viola hingefahren und habe eine Stunde oder auch zwei, durchs Dorf spazierend, darauf gewartet, ihnen zu begegnen. Hilflose Versuche. Ihre Frau habe nicht mehr gewollt. Gekonnt?, war Helene versucht zu entgegnen, behielt es aber glücklicherweise für sich, sie kannte sie ja gar nicht. Früher sei sie ein Viktor gewesen, der mit seiner Rolle als Mann zunehmend weniger habe umgehen können. Gleichzeitig habe er den Bart immer dichter, die Frisur immer kürzer getragen. Bis er eines Tages ein weites, türkisfarbenes Empirekleid, das Lieblingskleid seiner Frau, angezogen, sich den Bart abgenommen und geschminkt, das Kopfhaar kahlrasiert und mit einem um die Glatze geschlungenen Seidentuch auf Frau und Kinder gewartet hätte, die vom Einkauf zurückkehrten. Augenblicklich hatte Helene sich Matthes in ihrem samtenen, bordeauxroten Umstandskleid vorgestellt. Viola weinte? Jedenfalls schwammen die Augen, zum Glück schauten sie in die Ferne der Blumendekoration auf der halbhohen Mauer um ihre Sitznische herum. Helene hatte das Bild vom Pannesamtmatthes weggewischt, es war aber hartnäckig gewesen und noch vier- oder fünfmal zwischen zwei Sätzen Violas aus der Versenkung gekommen, bereit, Helene zum Lachen zu reizen, was sie unbedingt hatte vermeiden wollen …
Was sie an jenem Nachmittag erfuhr, kam aus

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