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Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Titel: Du stirbst nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Schmidt
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einziges Mal besucht. Helene zermartert sich den angebohrten, aufgesägten Schädel. Sie drückt die Hand fest auf die fühlbaren Löcher, als hätte sie Angst, dass die Violafragenfragmente sich auf und davon machten, wenn sie nicht aufpasste. Womöglich uneinholbar.
Vorgestern noch hätte sie bei dem Gedanken, eine Frau geliebt zu haben, bar jeder political correctness, vermutlich gelacht. Wie schnell alles wegwankt, noch mal und noch mal.
Da wankt es aber auch schon wieder auf sie zu: Als sie die Aufnahmeambulanz durchkreuzen mit dem Rollstuhl, ist sie schlagartig erinnert an die Situation der Einlieferung, alles kommt wieder!, kommt wirklich alles wieder?, sie wird flatterig, die linke Hand zittert. Wie sie so auf dem Oberschenkel liegt, sieht sie aus wie ein gerupftes Huhn in Todesangst. Auf einer fahrbaren Trage war sie vor Wochen hier hereingeschoben worden, sie verfolgt sich jetzt mit geschlossenen Augen: Zunächst hatte sie, eine unendlich lange Zeit, wie ihr heute scheint, auf dem Gang gestanden, den tödlichen Kopfschmerz als Helm umgeschnallt. Später war sie in einen der Behandlungsräume gefahren worden. Als endlich ein Arzt kam, hatte er ernst ausgesehen und gleichzeitig undurchdringlich, es war ihm nichts zu entlocken gewesen über ihren Zustand. Nach ihrem Namen hatte er gefragt, nach dem Datum und dem Wochentag, nach ihrem Geburtstag. Hatte ihren Reflexstatus überprüft mit Händen und Hämmerchen, war wortlos aus dem Raum gegangen. Sie war weggetreten. Oder eingeschlafen? Jedenfalls kam sie zu sich, als sie mit fest eingespanntem Kopf in einer Röhre gelegen hatte. Wieder draußen, hatte eine Schwester begonnen, an ihr herumzuhantieren. Sie auszuziehen. Sie hatte gefragt, was sie da täte, und die Schwester hatte mit betont ruhigem Augenaufschlag gemeint, dass ein bisschen Blut ausgetreten sei, das Wort Subarachnoidalblutung war nicht gefallen, als müsste man es den Patienten immer schön einfach machen. Als hätten sie durch die Bank keine Ahnung zu haben von diesen Dingen. Sie würde ihr gleich etwas geben, wovon sie erst einmal schön einschlafen würde, und wenn sie wieder aufwachte, sei das Schlimmste garantiert vorbei. Gelächelt hatte sie, aber es war Helene gequält vorgekommen. Das war der letzte erinnerbare Eindruck, dann war da nichts mehr.
Augen auf, hören Sie?
Der Typ vom Krankentransport ist ein schlaksiger junger Mann. Die Überlegenheit, die er ausstrahlt, verletzt sie. Daran wird sie sich gewöhnen müssen. Ihr Rollstuhl wird in den Wagen verfrachtet und festgeschnallt. Die Scheiben sind zu zwei Dritteln aus Milchglas, nur, wenn man den Kopf reckt, kann man etwas sehen, als die Tür geschlossen ist. Als sie sich im Wagen umsieht, sitzt da Matthes. Muss vor ihr eingestiegen sein. Sie wundert sich nicht. Oder? Heute ist sein Geburtstag. Sie hat kein Geschenk für ihn. Streckt ihren linken Arm nach ihm aus und hofft mit den Augen sagen zu können, dass sie ihm alles Gute wünscht. Besser als mit dem Mund. Matthes greift ihre Hand und drückt sie, seine Hand ist warm, sein Griff so vertraut, dass sie nicht mehr loslassen und sich die ganze Fahrt über verklammert daran festhalten möchte. Es ist nicht weit nach Heidemühlen, eine Dreiviertelstunde mit dem Auto, vielleicht. Matthes sagt nichts, er schaut aus dem Fenster, mit ihrer Hand in seiner rechten, die linke darumgeknüppert. Zwei Geschlagene, denkt sie, die nichts mehr sagen müssen.
Sie sagen nichts.
Baumstämme sieht sie beim Blick aus dem Fenster, dahinter Wiesenland. Wenige kleinere Ortschaften dazwischen. Tasdorf erkennt sie am abgeschlagenen Putz einer Hausruine, die an der durchquerenden B I liegt. Nur die Fensterreihe des ersten Stocks zieht an ihren Augen vorbei. Vor zehn Jahren war der Putz genauso abgeschlagen wie vor fünfzehn. Eigentlich erstaunlich, dass das Haus überdauert. In der Nachbarschaft sind einige neu gebaut, andere zumindest notdürftig befestigt worden. Wer hier wohnt, hat Pech, aber die wenigsten werden für diese Straßengrundstücke viel Geld bekommen, sodass sie sich wohl darauf einlassen werden dazubleiben. Die Alten zumindest. Sie erinnert sich, dass die Eltern der Sprechstundenschwester der neurologisch-psychiatrischen Fachambulanz in den frühen Achtzigern an der B I wohnten, in einem heruntergekommenen Haus mit Plumpsklo, mit warmem Wasser nur nach Anheizen des Kessels im Waschhaus über den Hof. Zum Glück wohnten sie »nur« zur Miete hier, konnten sich also irgendwann nach der Wende

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