Du wirst die Schönste sein - Ein Mallorca-Roman (German Edition)
deprimiertem Blick.
Oh, mein Gott! Ich ahnte, was kommen würde. Agnes hatte also nicht Wort gehalten. Mensch Agnes, wieso? Reichte es denn nicht, dass ich unter der grauenvollen Geschichte litt, musste meine Mutter auch noch damit belastet werden, und ausgerechnet in ihrem Urlaub.
„Mama ...“
„Lass mal, im Grunde war so was ja zu erwarten ... das Ganze hat dir doch sehr zu schaffen gemacht. Du weißt, was ich meine.“
Nein, wusste ich nicht. Und was meinte sie mit „war ja zu erwarten“? „Schließlich wart ihr fast zwei Jahre zusammen.“
Ich griff so rasch nach meinem Glas, dass ich es fast umstieß. Fast zwei Jahre? Ach so, sie redete über Uli und nicht ...
„Es gibt da also einen Neuen ...“ Aha, Ernestos Anruf. „Klar, nach einer Enttäuschung greift man schnell nach jedem Strohhalm. Und? Wie ist er so?“
„Der Strohhalm?“ Ich war also noch mal davon gekommen, geradezu zwanghaft brach ich in Lachen aus. „Nett würde ich sagen, doch ja, ein netter Typ.“
„Also nichts Ernstes?“ Ihr Ton klang leicht, aber in ihrem Blick lag Besorgnis.
Ich schüttelte den Kopf, was meiner Mutter offensichtlich nicht genügte.
„Mama, erst kommt mein Studium und dann ein Job und dann vielleicht was Ernstes. Vielleicht.“
Meine Mutter lächelte, das zufriedene Lächeln einer Mutter, die ihr Kind auf der richtigen Spur glaubt. Ein wenig verlegen gestand sie mir, insgeheim habe sie befürchtet, ich könnte mich in einen feurigen Spanier verlieben und auf Mallorca hängen bleiben. Angeblich hatte sie von einem solchen Fall gehört. Klar, der Süden hätte schon so seine Reize.
„Von wegen, Anfang Oktober sitz ich im Flieger nach Deutschland und du backst mir hoffentlich Apfelkuchen mit Streuseln.“
Meine Mutter nahm meine Hand und drückte sie mit leuchtenden Augen.
Damit hatte sich für meine Mutter das Thema erledigt, nicht so für mich. Mit Blick auf die Bühne, auf die beiden singenden und tanzenden Jungs in Frauenfummeln, fragte ich mich, und was wenn ich tatsächlich auf Mallorca bliebe. Mal angenommen aus Ernesto und mir entstünde etwas „Ernstes“? Deutete nicht so manches daraufhin. Wie ungeduldig er auf ein Treffen gedrängt hatte bei seinen Anrufen. Und hatte ich nicht auch gefühlt, dass die Zwangspause, die ich uns beiden auferlegt hatte, viel zu lang gewesen war? Und dumm außerdem. Vermutlich hätte Ernestos Nähe mir gut getan, selbst mit und gerade wegen eines blauen Auges.
„Bestellst du mir noch ein Glas?“ meldete sich meine Mutter, aber auch gleichzeitig mein Gewissen. Hatte ich ihr, noch keine Stunde her, nicht versprochen, Anfang Oktober im Flieger nach Deutschland zu sitzen?
Ernestos Auto stand wie sonst auch einige Meter hinter dem VESUVIO. Aber diesmal spielte er höchstpersönlich Chauffeur. Er stieg aus, als er mich kommen sah und wir liefen geradezu aufeinander zu und umarmten uns so heftig, dass mehrere Schmerzwellen durch meinen malträtierten Rücken liefen. Danach hielt er mich mit gestreckten Armen von sich und sah mir mit kritischem Blick ins Gesicht. „Mein Gott, man sieht ja überhaupt nichts mehr. Alles wie immer. Alles perfekt.“
Ich sah Ernesto ebenfalls an, nicht weniger überrascht. Tatsächlich hatte ich wohl ganz vergessen, wie gut er aussah. Das schmale, dunkel gebräunte Gesicht und dazu seine ungewöhnlich hellen Augen, dessen Farbe so schwer zu beschreiben war. Vor allem hier, im Licht der Straßenbeleuchtung. Ich hatte mich beeilt, aber es ging bereits auf halb elf zu.
Meine Mutter war am Nachmittag in den Zubringer-Bus zum Flughafen gestiegen. Fast schon schokoladenfarben gebräunt, diese Sonnenanbeterin, gut gelaunt und ohne ausufernde Abschiedssentimentalitäten. Im Bus hielt sie jedoch ihre Hand mit gespreizten fünf Fingern ans Fenster. In fünf Wochen sehen wir uns wieder, sollte das heißen. Ich nickte heftig.
Vom Timing her lief alles optimal. Am nächsten Tag hatte ich frei und ich ging davon aus, die Nacht mit Ernesto zu verbringen. Auch wenn er das nicht ausdrücklich erwähnt hatte – wie damals in jener Unglücksnacht.
Während der Fahrt erfuhr ich, dass Ernesto eine Überraschung für mich vorbereitet hatte.
„Gehen wir in ein chices Restaurant? Oder vielleicht zu einer tollen Veranstaltung?“ erkundigte ich mich.
„Um Himmelswillen. Nein, nein, wir bleiben schön in der Casa Ernesto, nicht dass du mir wieder verloren gehst.“
Und dann wollte Ernesto wissen, wie lange ich in jener Nacht noch auf der
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