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Du wirst noch an mich denken

Du wirst noch an mich denken

Titel: Du wirst noch an mich denken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Andersen
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traute ihm alles zu.
    Sie hatte die Verantwortung für ihre eingelagerten Besitztümer und den Verkauf ihres Hauses und ihres Wagens in Jordans Hände gelegt und einen Frühflug nach Chicago genommen. Am Flughafen O'Hare hatte sie sich für Seattle als Endziel entschieden, zum einen, weil es weit weg von zu Hause war, und zum anderen, weil sie in dieser Stadt keine Menschenseele kannte. Wesley hatte also keinen Grund anzunehmen, dass sie dorthin unterwegs war. Sie hatte die Damentoilette aufgesucht und sich nach Kräften bemüht, ihr Aussehen zu verändern. In Anbetracht dessen, wie ihr Gesicht zurzeit aussah, war das gar nicht so einfach gewesen, die Schwellungen und Blutergüsse waren einfach zu auffällig. Um unbemerkt zu entkommen, falls sie doch beobachtet wurde, hatte sie sich einer Gruppe von Geschäftsfrauen anvertraut, die auf dem Weg zu einer Tagung waren, und eine von ihnen hatte das Flugticket für sie besorgt. Dann hatten sie sie in ihre Mitte genommen und sie von der Toilette zum Flugsteig eskortiert.
    Das Gesicht, das ihr aus dem Spiegel entgegensah, war ihr fremd. Die Schwellungen veränderten seine Form, brachten ihre viel gerühmten Wangenknochen praktisch zum Verschwinden. In ihrem linken Ohrläppchen befand sich ein vernähter Riss an der Stelle, wo Wesley ihr den Ohrring herausgerissen hatte. Ihre Augen waren zwar noch blutunterlaufen, aber nicht mehr völlig zugeschwollen. Ihre Nase war gebrochen gewesen, der Arzt im Krankenhaus hatte ihr jedoch versichert, dass sie wieder genauso aussehen würde wie vorher, sobald die Schwellung abgeklungen war. Ihre Lippe war gespalten, aber auch das würde im Lauf der Zeit heilen. Ihre Haut würde irgendwann wieder das sein, was einer ihrer früheren Verehrer mit einem Hang zu blumigen Komplimenten einmal als makellosen Alabasterteint bezeichnet hatte. Auch wenn sie diese Beschreibung für eine gewaltige Übertreibung hielt, war ihr Teint tatsächlich der einzige ihrer körperlichen Vorzüge, auf den sie stolz war. Allerdings war alles besser als der Zustand, in dem er sich im Augenblick befand - eine in allen Regenbogenfarben von Purpurrot bis Zitronengelb schillernde Ansammlung von fürchterlichen Blutergüssen.
    Im Wesentlichen, so hatten die Ärzte ihr erklärt, waren ihre Verletzungen oberflächlicher Art. Sie sagten, sie hätte Glück gehabt. Keine schweren Knochenbrüche, keine Verletzungen an den Augen, keine Gehirnerschütterung, keine ausgeschlagenen Zähne. Nach dem Theater, das ihre Mutter in der Notaufnahme veranstaltet hatte, beeilten sie sich, ihr zu versichern, dass sie ihre frühere Schönheit voll und ganz wiedererlangen würde. Diese Versicherung hatte ihre Mutter zufrieden gestellt, aber in Aunie hatten sie ein zwiespältiges Gefühl hervorgerufen.
    Weil ihr Aussehen manchmal ein Segen gewesen war.
    Manchmal aber auch ein Fluch.

2
    F ür jemanden, der zur verarmten besseren Gesellschaft gehörte, gab es auf der ganzen Welt keinen Ort, der mit den Südstaaten zu vergleichen gewesen wäre. Im Laufe der Generationen hatten die Südstaatler dieses Leben zu einer Kunstform erhoben, und Aunie hätte ohne jede Recherche ein ganzes Buch darüber schreiben können. Schließlich verfügte sie als einzige Tochter einer Familie, die zu zwei altehrwürdigen Säulen der Südstaatengesellschaft gehörte, über Erfahrungen aus erster Hand.
    Ihr Vater war L. Martin Franklin III., der Träumer in einer Familie von Karrieristen. Zerstreut und vergeistigt, wie er war, hatte er in ihrem Leben kaum eine Spur hinterlassen. Er interessierte sich nur für seine Bücher und seine wissenschaftlichen Projekte, und sein mangelnder Geschäftssinn wurde als Charakterschwäche betrachtet und von seiner Familie halb belustigt, halb genervt mit der gleichen Nachsicht hingenommen wie Onkel Asas Alkoholkonsum oder Onkel Beaus Affären.
    Ihre Mutter war eine Pearlin - von den Pearlins aus Savannah? So klang es bei ihr zumindest jedes Mal, wenn sie sich jemandem vorstellte ... mit einer Stimme so süß wie Honig, die sie zum Schluss wie bei einer Frage ein wenig hob. Auf diese Weise gab sie ihrem Gegenüber zu verstehen, dass es ihm schon gewaltig an Erziehung mangeln musste, wenn er noch niemals von dieser angesehenen Familie gehörte hatte. Erst mit fünf oder sechs Jahren hatte Aunie begriffen, dass ihre Mutter keineswegs mit Mädchennamen Eine-Pearlin-von-den-Pearlins-aus-Savannah hieß.
    Etwa im gleichen Alter fing sie an zu begreifen, welche Erwartungen ihre Familie in

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