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Du wirst noch an mich denken

Du wirst noch an mich denken

Titel: Du wirst noch an mich denken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Andersen
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gesagt hätte, dass die Anstrengung, die damit verbunden war, für sich selbst zu sorgen, ihr letzten Endes mehr Befriedigung verschaffen würde, als sich eine gute Partie zu angeln und versorgen zu lassen, hätte sie nicht verstanden, was er meinte. Sie wusste nur das, was ihr jahrelang eingehämmert worden war. Dementsprechend brauchte sie länger als die meisten, um eine eigene Identität zu entwickeln.
    Sie dachte, ihr Aussehen sei ihre Identität. Niemals hatte sich jemand auch nur annähernd so lobend über ihre Intelligenz geäußert wie über ihren makellosen Teint oder ihre perfekten Gesichtszüge. Niemals hatte ihr jemand gesagt, sie sei klug genug, um einen Beruf nach ihrem Geschmack zu ergreifen. Es herrschte stillschweigendes Einvernehmen darüber, dass sie einen einzigen Vorzug besaß, der sich vermarkten ließ. Ihre Pflicht war es, ihre Schönheit zu nutzen, um sich einen reichen Ehemann zu angeln. Und trotz der Unsicherheit, die sich unter ihrer aufgesetzten Munterkeit verbarg, war sie fest entschlossen, genau das auch zu tun.
    In ihrem letzten Schuljahr auf dem Mädchenpensionat wurde sie mit einer gewissen Anzahl von ihrer Familie ausgewählter und für gut befundener Junggesellen bekannt gemacht: jungen Männern aus namhaften Familien mit nützlichen Verbindungen und vielversprechenden Zukunftsaussichten. Doch auch wenn sie sich mit den meisten gut verstand und sich zu dem einen oder anderen sogar stärker hingezogen fühlte, fehlte letztlich das gewisse Etwas. Man hatte ihr beigebracht, dass Reichtum das oberste Ziel war, aber ein kleiner Rest von Trotz ließ sie davon überzeugt sein, dass es noch mehr geben musste. Liebe.
    Dann, kurz nach ihrem neunzehnten Geburtstag, war Wesley Cunningham in ihr Leben getreten und hatte sie im Sturm erobert.
    Wesley war kein junger Mann mehr, mit seinen sechsunddreißig Jahren war er beinahe doppelt so alt wie sie. Er war ein angesehener Galerist, dessen private Kunstsammlung allgemeiner Meinung nach im Süden ihresgleichen suchte, und ein weltgewandter Mann, der sich in den exklusivsten Kreisen zu Hause fühlte. Dass ein solcher Mann Interesse an ihr zeigte, raubte Aunie buchstäblich den Atem. Er machte ihr auf eine hartnäckige, formvollendete und romantische Weise den Hof und verdrehte ihr damit erst recht den Kopf. Als er sie nach elf Monaten um ihre Hand bat, hielt sie sich für die glücklichste Frau auf Gottes Erdenrund.
    Später hätte sie sich gern damit getröstet, dass sie so schnell und so weit wie möglich geflohen wäre, wenn sie auch nur die geringste Ahnung gehabt hätte, dass sie im Begriff stand, das kostbare Vorzeigeobjekt eines von seinem Besitz besessenen Mannes zu werden. Aber in Wahrheit war sie zutiefst verunsichert und wusste nicht, worauf sie sich überhaupt noch verlassen konnte. Vielleicht waren die Zeichen die ganze Zeit über da gewesen, und sie hatte sie nur einfach nicht sehen wollen. Wesleys Aufmerksamkeiten hatten ihr ungemein geschmeichelt, und in Anbetracht ihrer Entschlossenheit, sämtliche Erwartungen ihrer Familie zu erfüllen, war es gut möglich, dass sie vor seinen Fehlern einfach die Augen verschlossen hatte.
    Es war nicht so, als hätte sie wirklich geglaubt, dass es so gewesen war.
    Sie musste jedoch mit der Erkenntnis leben, dass sie auch niemals mit hundertprozentiger Sicherheit wissen würde, dass es nicht so gewesen war.
    »Hallo, Otis.« Auf der Treppe waren leise Schritte zu vernehmen. »Also, ich schwöre dir, du bist einer der fleißigsten Männer, die ich jemals kennen gelernt habe. Lola hat mir erzählt, dass du bei der Feuerwehr arbeitest, und trotzdem scheinst du in jeder freien Minute irgendetwas hier im Haus zu tun.«
    James, der am anderen Ende des Flurs auf dem Boden kniete, blickte auf. Er beobachtete, wie Aunie auf dem Treppenabsatz erschien, im Lichtkegel der darüber aufgehängten Arbeitsleuchte stehen blieb und Otis strahlend anlächelte.
    James ließ sich zurücksinken und setzte sich im Schneidersitz hin. Bis vor wenigen Minuten hatte das Tageslicht, das durch das Fenster neben ihm fiel, zum Arbeiten noch ausgereicht, aber dann war die Sonne plötzlich hinter einer Wolke verschwunden. Er hatte schon überlegt, ob er die zweite Arbeitsleuchte einschalten sollte, jetzt war er jedoch froh, dass er es nicht getan hatte.
    Auf diese Weise hatte er die Gelegenheit, Aunie unbemerkt zu beobachten.
    Er konnte es noch immer nicht fassen, wie umwerfend sie aussah. Jedes Mal, wenn er ihr in den vergangenen

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