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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Joyce
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Antwort zustande, worauf er für gewöhnlich lächelte und zwei- oder dreimal nickte. Manchmal ging er die Antworten in der Messe mit mir durch, die er mich hatte auswendig lernen lassen; und während ich sie hersagte, lächelte er versonnen und nickte, und von Zeit zu Zeit schob er eine riesige Prise Schnupftabak abwechselnd in jedes Nasenloch. Beim Lächeln entblößte er seine großen, verfärbten Zähne und ließ die Zunge auf der Unterlippe liegen – eine Angewohnheit, die mir Unbehagen bereitet hatte zu Beginn unserer Bekanntschaft, bis ich ihn näher kennenlernte.
    Während ich im Sonnenschein dahinging, erinnerte ich mich an die Worte des alten Cotter, und ich versuchte mich zu erinnern, was in dem Traum sonst noch geschehen war. Ich erinnerte mich, dass mir lange Samtvorhänge aufgefallen waren und eine Hängelampe von altertümlichem Aussehen. Ich hatte das Gefühl, ich wäre sehr weit weg gewesen, in einem Land mit fremdartigen Bräuchen – in Persien, dachte ich. Aber an das Ende des Traums konnte ich mich nicht erinnern.
    Am Abend nahm mich meine Tante mit zum Besuch im Trauerhaus. Es war nach Sonnenuntergang, aber die Fensterscheiben der Häuser, die nach Westen schauten, spiegelten das dunkle Gold einer großen Wolkenbank wider.Nannie empfing uns in der Diele, und da es unschicklich gewesen wäre, laut mit ihr zu reden, drückte meine Tante stellvertretend für alle ihr nur die Hand. Die alte Frau deutete fragend nach oben, und als meine Tante nickte, führte sie uns mühsam die enge Treppe hinauf, den Kopf fast bis auf die Höhe des Geländers heruntergebeugt. Auf dem ersten Treppenabsatz blieb sie stehen und winkte uns ermunternd zur offen stehenden Tür des Totenzimmers. Meine Tante ging hinein, und als die alte Frau sah, dass ich zögerte einzutreten, wiederholte sie ihre Handbewegung mehrmals.
    Ich ging auf Zehenspitzen hinein. Das Zimmer war von dem Licht, das unter dem Spitzenbesatz des Rouleaus hereindrang, in dämmriges Gold getaucht, in dem sich die Kerzen wie blasse dünne Flammen ausnahmen. Er war in den Sarg gelegt worden. Wir folgten Nannies Beispiel, und zu dritt knieten wir am Fußende des Bettes nieder. Ich tat, als ob ich betete, aber ich konnte meine Gedanken nicht sammeln, da mich das Gemurmel der alten Frau ablenkte. Mir fiel auf, wie unordentlich ihr Rock hinten zugehakt war und wie abgetreten die Absätze ihrer Leinenstiefel auf einer Seite waren. Ich glaubte den alten Priester lächeln zu sehen, wie er da in seinem Sarg lag.
    Aber nein. Als wir aufstanden und zum Kopfende des Bettes traten, sah ich, dass er nicht lächelte. Da lag er, feierlich und füllig, eingekleidet für den Altar, seine großen Hände hielten lose einen Kelch. Sein Gesicht war sehr grimmig, grau und massig, mit Nasenlöchern wie schwarze Höhlen und von einem spärlichen weißen Pelz eingesäumt. Es hing ein schwerer Duft in dem Raum – die Blumen.
    Wir bekreuzigten uns und gingen. In dem kleinen Zimmer im Erdgeschoss fanden wir Eliza, die auf seinem Sessel thronte. Ich tastete mich zu meinem gewohnten Stuhl in der Ecke, während Nannie zum Büfett ging und eineSherry-Karaffe und einige Weingläser hervorholte. Sie stellte sie auf den Tisch und lud uns ein, ein Gläschen zu trinken. Dann, auf Bitten ihrer Schwester, goss sie den Sherry in die Gläser und reichte sie herum. Sie drängte mich, auch ein paar Sahnecracker zu nehmen, aber ich lehnte ab, da ich dachte, beim Kauen zu viel Geräusch zu machen. Sie schien über meine Ablehnung ein wenig enttäuscht und ging still zum Sofa, wo sie hinter ihrer Schwester Platz nahm. Niemand sprach: Wir starrten alle in den leeren Kamin.
    Meine Tante wartete, bis Eliza seufzte, und sagte dann:
    – Ach ja, er ist in einer besseren Welt.
    Eliza seufzte noch einmal und neigte ihren Kopf zustimmend. Meine Tante drehte den Stiel ihres Weinglases zwischen den Fingern, ehe sie ein wenig daran nippte.
    – Ist er ... friedlich?, fragte sie.
    – Oh, ganz friedlich, Ma’am, sagte Eliza. Man hat gar nicht gemerkt, wann er den letzten Atemzug getan hat. Es war ein schöner Tod, Gott sei gelobt.
    – Und alles ...?
    – Father O’Rourke war am Dienstag bei ihm und hat ihm die Letzte Ölung gespendet und ihn vorbereitet und alles.
    – Er wusste also?
    – Er war ganz gefasst.
    – Er sieht ganz gefasst aus, sagte meine Tante.
    – Das sagte die Frau auch, die da war, um ihn zu waschen. Sie sagte, er sähe so aus, als ob er nur schliefe, so friedlich und gefasst sähe er aus.

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