Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici
schlanken Turm gezeigt und erklärt hatte, dies sei der Palast der signoria. Im breit ummauerten Kranz des Turms schwang die Glocke. Ich hörte von dort das Klirren von Ketten, die über Treppenstufen gezogen wurden, das Aufeinanderschlagen von Waffen und das heisere Gebrüll: »Popolo e libertà!« Es war eine Belagerung; nein, es war ein Sturm. Die Besatzung des Palazzo della Signoria versuchte die Tore zu schließen, während die Belagerer dagegendonnerten. »Popolo e libertà, uccidiamone i traditori!« Die Neuankommenden mischten sich zum Vorteil beider Seiten in den Kampf ein. Ein Mann schrie schrill auf und begann danach, abgehackt zu kreischen, als werde er in Stücke gerissen. Ich vernahm es, und aus keinem anderen Grund wich plötzlich die Erregung von mir und ließ mich stattdessen voller Angst um mein Leben zurück.
Zu dem Brüllen des ersten Verletzten gesellten sich weitere Schmerzensschreie. Ich sah dem Gemetzel über den Platz hinweg zu, ohne mich von der Stelle rühren zu können. Ich war Untersuchungsbeamter eines Bischofs gewesen und hatte in dieser Zeit genügend Tod und Gewalt erlebt; ich hatte die beiläufigen Toten eines Krieges gesehen, in dem ich um den Frieden verhandelte – aber diese kreischende Wut, mit der Bürger und Bewaffnete übereinander herfielen, lähmte mich. Es war offensichtlich die Befreiung von der lastenden Anspannung der vergangenen Jahre und Monate, in denen die Bemühungen des Papstes, die Republik zu schwächen, die Stadt in immer mehr feindliche Lager gespalten hatte. Es war das Überschwappen der Gewalt hinter die Mauern der reichsten Stadt Italiens. Es war die nackte Lust daran, seinem Gegner endlich die Augen herauszureißen. Wehe denen, die unvorbereitet zwischen die Parteien dieses Aufstands gerieten.
Und Jana und ihr Gefolge befanden sich auf dem Weg vom Landgut des Benozzo Cerchi zurück in die Stadt!
Ich keuchte vor Schreck und vergaß meinen Schwiegersohn. Ich wandte mich um; ich musste Jana am Stadttor abfangen.
Eine Hundertschaft brüllenden Pöbels stürmte den Platz, tobend und bis an die Zähne bewaffnet, angeführt von einem guten Dutzend Reiter. An ihrer Spitze bäumte sich ein Pferd auf, ein Mann fuchtelte mit einem Schwert, langes weißes Haar unter einem antiquierten Helm und den hageren Körper von einem Brustpanzer umschlossen. Jacopo de’ Pazzi, und er brüllte: »Pazzi, Pazzi, popolo e libertà!«
Kampfgeschrei erfüllte den Platz. Jacopo de’ Pazzi trieb seine kleine Armee voran; sie strömte an ihm vorbei, während er sein Pferd wieder und wieder in die Höhe steigen ließ und Kommandos hervorstieß. Seine berittenen Anhänger galoppierten auf den Eingang des Palasts zu. Ich drückte mich in einen Hauseingang. Niemand nahm von mir und den anderen Unglücklichen Notiz, die sich gleich mir in Eingangstoren oder Nischen verbargen und versuchten, nicht unter die Füße dieser Privatarmee zu geraten. Ich starrte mit weit aufgerissenen Augen und hörte mein Herz schlagen. Die Leute Pazzis kannten nur ein Ziel – den Palast; und ich wusste, wer ihnen auf dem Weg dorthin in die Quere kam, den würden sie in Stücke reißen. Sie rannten an mir vorüber, Männer in zerlumpten Wämsern zumeist, mit schmutzigen Gesichtern und fauligen Zähnen in den brüllend aufgerissenen Mäulern. Einer der Laufenden machte plötzlich einen Satz nach hinten und prallte auf den Boden, als sei er gegen eine Wand gelaufen. Von einer Stelle des Pflasters stoben Funken auf, etwas wirbelte durch die Luft davon – Jacopo de’ Pazzi brüllte auf und deutete mit seinem Schwert auf den Turmkranz des Palastes. Ich sah zwei Männer dort oben, klein aus der Distanz, die abwechselnd mit Armbrüsten herunter in die Menge schossen. Aus den Gassenmündungen brachen weitere bewaffnete Männer hervor und mischten sich in den Kampf. Sie bewegten sich geordneter als der Haufen, der hinter dem alten Pazzi hergestürmt war, und ihr Eingreifen brachte die Pöbelarmee mit einem gewaltigen Aufprall von Körpern und Klingen zum Stehen. Die Vorwärtsbewegung löste sich plötzlich in Dutzende von Einzelkämpfen auf, aus der gezielten Woge gegen den Eingang des Palastes wurde ein gewalttätiges Wimmeln, das nicht mehr von der Stelle kam. Pazzi ließ sein Pferd herumtanzen und fluchte und brüllte, bis seine Stimme sich überschlug. Er wirbelte sein Schwert über dem Kopf herum und versuchte, seine Reihen zu ordnen, aber seine Männer hatten sich längst in Kämpfen Mann gegen Mann
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