Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici
und Tonsuren trugen. Er schien sich zu langweilen und der stockenden Unterhaltung, die die beiden Geistlichen mit ihm führten, nur mit halbem Ohr zu lauschen. Als er sich umdrehte, um die Menge zu mustern, sah ich ein blasses, fleckiges Gesicht, von lockigem, schulterlangem dunklen Haar eingerahmt, in dem zwei prüfend zusammengekniffene Augen und eine lange, platte Nase auffielen. Er hatte breite Kinnbacken, die seinen Unterkiefer vorschoben, und wirkte in seiner zweifarbigen, links schwarzen, rechts rosenroten Schaube doppelt so massiv und kräftig wie die Priester. Er schien auf etwas zu warten. Ein paar Männer in seiner Nähe, ebenso prächtig gekleidet wie er, doch einige Jahre älter, folgten seinen Blicken. Ich beugte mich zu Kleinschmidt und bemerkte, dass er den Herrn des Hauses Medici wie gebannt anstarrte.
»Kennst du ihn näher?«, fragte ich ihn. Er schüttelte den Kopf, ohne die Blicke von ihm abzuwenden. Unwillkürlich sah ich mich nach der Ehrfurcht gebietenden Gestalt des Mannes um, den Kleinschmidt mir als Lorenzos erbitterten Gegner geschildert hatte: Jacopo de’ Pazzi, der knorrige, weißhaarige alte Aristokrat und Herr der Familie Pazzi, die die Finanzverwaltung des Heiligen Stuhls aus den Händen der Medici gerissen hatte. Ich konnte ihn nirgends sehen. Vermutlich zog er den Besuch der Messe in der Franziskanerbasilika Santa Croce dem Zusammentreffen mit seinem Feind vor dem Altar Santa Maria del Fiores vor.
Hinter uns stockte das Raunen der Kirchenbesucher plötzlich, um dann lauter zu werden und in vereinzelte fröhliche Rufe auszubrechen. Ich drehte mich um und sah aus dem Augenwinkel, dass Lorenzo de’ Medici sich aufrichtete und das Kirchenschiff entlangspähte. Es kam Bewegung in die Menge. Sie drängte auseinander, als stünde dort vorn ein Moses, der die Fluten des Roten Meers teilte. Ich sah das Licht, das vom geöffneten Hauptportal in die Kirche drang. Kleinschmidt reckte den Hals und sagte dann voller Spannung: »Giuliano!«
»Ser Lorenzos Bruder?«
Er nickte.
Giuliano de’ Medici schritt langsam durch die Gasse zum Chor, Arm in Arm mit einem kleinen Mann, der ein zynisch überlegenes Gesicht machte und damit das Wohlwollen abzuwehren schien, das über seinen Kopf hinweg auf Giuliano de’ Medici zuschwappte. Der junge Mann war noch immer so bleich wie gestern, als Jana und ich ihn von weitem gesehen hatten, ein großer, schlanker Adonis mit halblangem Haar, der die gesamte Schönheit der Familie, falls es so etwas gab, geerbt zu haben schien. Der kleinere Mann redete auf ihn ein und schien ihn aufheitern zu wollen, denn Giuliano lachte und reagierte sowohl auf seine Worte als auch auf die freundlichen Gesten der Messbesucher mit einem fröhlichen Lächeln. Der zweite Mann in seiner Begleitung wirkte wie ein Angehöriger des Gossenpöbels, der zufällig in ein teures Gewand geschlüpft ist, grob und untersetzt, mit kurzen, muskulösen Beinen in einer engen Hose. Vielleicht war er ein Leibwächter. Als ich sie die Gasse heraufschreiten sah, erkannte ich in den beiden Männern in Giulianos Begleitung diejenigen, die sich bei unserem Eintreten vorhin so hastig durch das Seitenportal gedrängt hatten. Sie schritten an uns vorbei und durchquerten den freien Raum zur Holzbalustrade. Lorenzo entspannte sich; er lächelte breit und winkte seinem Bruder zu, der mit einem ebenso breiten Lächeln zurückwinkte. In diesem Moment, mit den identischen Gesten, sahen sie trotz ihres unterschiedlichen Körperbaus aus wie die Brüder, die sie waren. Keiner machte irgendwelche Anstrengungen, die gegenseitige Zuneigung, die sie offensichtlich verband, zu verbergen.
Der Chor setzte ein, zusammen mit dem Schellen von Silberglöckchen und dem Rasseln der Weihrauchbehälter, die vorn am Altar geschwungen wurden. Giuliano de’ Medici trat an die nördliche Öffnung der Holzbalustrade. Die Stimmen des Chors schwangen sich empor, als eine Gruppe von Männern in strahlend weißem Ornat aus der Sakristei kam und zum Altar schritt. Ein dunkelroter Farbtupfer unter ihnen war Kardinal Raffaelle Riario, den ich mehr an seinem Kardinalsmantel erkannte als an seinem gesenkten Gesicht. Einer der weiß gekleideten Priester blieb am Altar stehen und faltete die Hände; die anderen, mit ihnen der Kardinal, setzten sich auf die Bänke an der Seitenwand des Altarraums. Der Chor, unsichtbar hinter den blumengeschmückten Stellwänden im Chorraum, verstummte nach einem letzten Jubilieren.
Die gebannte Erwartung
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