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Duenenmord

Duenenmord

Titel: Duenenmord
Autoren: Katharina Peters
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andere Mal und warf den Kopf von einer Seite auf die andere. Er hatte hochrote Wangen, und seine Augen glänzten fiebrig. Ein heftiger Infekt, dachte Anna, der sechste oder siebte in diesem Winter. Sie wechselte die Umschläge und flößte dem Jungen Tee ein.
    »Vater, Mutter, Kind.«
    Anna wusste, dass er von einem der Fotos sprach, die das Kommissariat geschickt hatte. Ein harmloses Foto von drei Menschen, die auf einem Segelboot saßen und in die Sonne lachten. Der Mann hatte einer jungen Frau den Arm um die Schulter gelegt – nach Alter und Ähnlichkeit könnte es sich durchaus um Vater und Tochter handeln. Die andere Frau war ungefähr so alt wie der Mann, sie hatte rote Locken, und ihr Lächeln wirkte bei genauerem Hinsehen abwesend.
    David hatte das Foto sehr lange angesehen und sofort begriffen, dass es sich um eine Familienszene handelte. Doch irgendetwas hatte ihn irritiert und derart verstört, dass sich eine bis dahin harmlose Erkältung im Laufe weniger Stunden zu einem saftigen Fieberinfekt ausgeweitet hatte.
    »Vater, Mutter, Kind.«
    »Beruhige dich, David. Es ist alles in Ordnung«, beschwichtigte Anna den Jungen.
    »Vater, Mutter, Kind. Mutter tot.«
    Wenn der Kommissar das nächste Mal anruft, schicke ich ihn zum Teufel, dachte Anna. Die Aufregung schadet David, davon macht sich niemand eine Vorstellung. Warum auch? Sie strich ihm das verschwitzte Haar aus der Stirn.
    »Vater, Mutter, Kind. Mutter tot. Kind.«

20
    »Ich habe von den Mails und von den SMS-Mitteilungen gewusst, weil ich mir heimlich Monikas Netbook angesehen habe. Ich war vollkommen entsetzt, das können Sie mir glauben. Wie widerlich, allein die Vorstellung!« Lotte schüttelte den Kopf. »Plötzlich ist mir klar geworden, warum ich die Frau schon immer verabscheut habe.« Sie nickte eifrig.
    Was für ein kleines Miststück, dachte Romy und hoffte, dass der Gedanke sich nicht auf ihrem Gesicht spiegelte.
    »Ich bin nach Göhren rausgefahren, kurz nachdem Olaf Leihm eingetroffen war«, fuhr Lotte Sänger fort. »Ich wollte wissen, wer den Mumm hatte, Monika derart in die Ecke zu drängen.«
    Romy holte tief Luft. »Und Ihre Migräneattacke?«
    »Die war nicht so schlimm.«
    »Ich verstehe. Und weiter?«
    »Wegen der vereisten Straßen brauchte ich sehr lange bis Göhren. Und als ich am Südstrand ankam, musste ich erst mal eine Weile suchen, bis ich Monika schließlich entdeckte. Sie lag verletzt am Strand.«
    »Und?«
    »Ich habe sie liegen gelassen.«
    Lotte zuckte mit keiner Wimper, als sie das behauptete, und Romy spürte, wie es in ihren Fingern zu kribbeln begann. Neben ihr atmete Kasper tief ein.
    »Nach dem, was sich in den Mails andeutete, fand ich, dass sie …«
    »Keine Hilfe verdient hatte?«, ergriff Romy das Wort.
    »Sie hat Kinder … Mädchen! missbraucht, und ich habe sie von Anfang an, ja: gehasst, schon als kleines Kind!« Lottehob das Kinn und funkelte Romy an. »Jemand hat sich bitter an ihr gerächt. Ich habe ihr nicht geholfen, ich konnte es einfach nicht – unterlassene Hilfeleistung können Sie mir meinetwegen anhängen, aber das war es dann auch schon. Ich konnte doch nicht ahnen, dass sie sterben würde.«
    Kasper nickte. »Ich verstehe. Monika Sänger lag also schwer verletzt am Strand. Woher wussten Sie eigentlich, dass sie verletzt war und nicht bereits tot?«
    Lotte stutzte kurz. »Na ja, mir war so, als hätte sie gerufen.«
    Romy biss die Zähne zusammen. »Sie hat gerufen? Um Hilfe gerufen?«
    »Ja, kann sein. Sie bewegte sich auch noch …«
    Kasper nickte. »Und Sie sind wieder nach Hause gefahren – richtig?«
    Lotte sah ihn mit großen dunklen Augen an. »Ja, genau.«
    »Haben Sie noch jemanden am Strand oder in der Nähe gesehen oder etwas Ungewöhnliches bemerkt?«
    »Nein.«
    »Und dann?«
    »Ich habe mich unbemerkt durch den Kellereingang ins Haus geschlichen«, berichtete Lotte prompt. »Olaf Leihm und mein Vater spielten Schach. Dabei vergessen sie grundsätzlich die Welt um sich herum, und mein Zimmer liegt am entgegengesetzten Ende des Haus. Den Rest kennen Sie …«
    Der Rest, dachte Romy. Dieser Fall ist eine einzige emotionale Achterbahn, und ich mache drei Kreuze, wenn die Fahrt zu Ende ist.
    »Als meine Kollegin und ich am Morgen nach dem Überbringen der Todesnachricht Ihr Haus wieder verließen, haben Sie Ihrem Vater von ihrer abendlichen Tour nach Göhren berichtet«, fuhr Kasper seelenruhig fort. »Möglicherweise auch ein paar Stunden später oder erst am nächsten Tag.
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