Duenenmord
gleichen entsetzlichen Gedanken.
Lotte Sänger war eine bildhübsche junge Frau, die durchaus Modelqualitäten mitbrachte, stellte Romy fest, als Kasper sie in den Vernehmungsraum führte. Das lange dunkle Haar floss ihr über den Rücken, ihre grazile Gestalt strahlte Selbstsicherheit aus. Der Unmut über den abendlichen Ausflug nach Bergen, noch dazu in Polizeibegleitung, war ihr deutlich anzumerken. Ihr Blick war abweisend und kühl.
»Nehmen Sie doch bitte Platz, Frau Sänger«, sagte Romybetont freundlich und blickte Kasper kurz an. Der nickte kaum wahrnehmbar. Sie hatten den geplanten zweiten Teil des Verhörs mit Michael Sänger verschoben, um zunächst mit dessen Tochter zu sprechen, wobei es Romy wichtig gewesen war, dass Vater und Tochter sich im Kommissariat nicht über den Weg liefen, zumindest nicht in diesem Moment.
Lotte Sänger hatte den Stuhl mit einer unwirschen Bewegung zurückgezogen und sich gesetzt. »Ich hatte Ihnen doch versichert, dass ich demnächst nach Bergen komme und meine Aussage mache. Ist Ihnen keine bessere Uhrzeit für eine Besprechung eingefallen?« Sie gab sich nicht die geringste Mühe, ihren schnoddrigen Tonfall zu kaschieren.
»Durchaus.« Die Kommissarin lächelte. »Nur manchmal können wir uns die nicht aussuchen, und unsere Ermittlungen sind inzwischen an einem Punkt angelangt, der keinen weiteren Aufschub duldet.«
»Aha. Und was genau wollen Sie von mir?« Sie warf ihr Haar über die Schulter zurück, musterte Kasper und wandte sich dann wieder Romy zu.
»Lassen Sie uns über Ihre Mutter reden.«
»Meine Mutter ist schon lange tot.«
»So lange nun auch wieder nicht – knapp eine Woche.«
Lotte Sänger hob die Brauen. »Monika ist nicht meine Mutter – wie oft soll ich Ihnen das denn noch sagen?«
»Ach ja, ich vergaß …« Romy schüttelte den Kopf. »Entschuldigung. Sie war Ihre Stiefmutter.«
»Sagen Sie doch einfach Monika«, schlug Lotte vor. Sie klang genervt. »Das macht es für alle Beteiligten einfacher.«
»Monika also.« Romy nickte verständnisvoll. »An dem Abend des Überfalls auf Monika am Südstrand von Göhren lagen Sie mit einer Migräneattacke im Bett, wenn ich das von unserem Gespräch richtig in Erinnerung habe.«
»Haben Sie.«
»Ihr Vater hatte seinen Schachfreund zu Besuch«, fuhr Romy fort. »Haben Sie davon irgendetwas mitbekommen?«
»Nein – wie gesagt: Ich lag völlig fertig im Bett und hatte ein starkes Medikament genommen. Migräne ist nicht witzig.« Lotte schlug ein Bein über das andere. »Als ich am Abend zwischendurch mal aufstand, war es schon nach acht, halb neun, in etwa …«
»Olaf Leihm war schon gegangen?«
Lotte nickte. »Ja. Und mein Vater fing an, sich Sorgen zu machen, dass Monika noch nicht zurück war. Ich bin kurz danach wieder schlafen gegangen. Wissen Sie, diese Medikamente schlauchen gewaltig.«
Romy nickte verständnisvoll, Kasper schloss sich mit einem mitfühlenden Lächeln an.
»Als ich das zweite Mal aufstand, war der nächste Tag angebrochen, und Sie hatten meinem Vater gerade die Nachricht überbracht, dass Monika … tot war. Ermordet.« Lotte sah kurz auf ihre Hände.
»Wie haben Sie sich eigentlich mit Ihrer Mutter, Entschuldigung: mit Monika verstanden?«, fragte Romy.
»Darüber sprachen wir auch schon«, entgegnete Lotte ungeduldig.
»Ich weiß, aber«, Romy wies auf das Mikrofon, »wir brauchen auch diese Details für das Protokoll.«
»Na schön. Sie war die zweite Frau meines Vaters. Ich habe mich nicht darum gerissen, eine Stiefmutter zu bekommen. Über die Jahre haben wir uns aneinander gewöhnt. Was blieb uns auch anderes übrig?« Sie zuckte mit den Achseln. »Mehr kann ich dazu beim besten Willen nicht sagen.«
»Würden Sie noch einen Schritt weitergehen und schlicht zugeben, dass Sie Monika nicht mochten?«
»Selbst wenn. Was spielt das für eine Rolle?«
»Eine in diesem Zusammenhang sehr große, denn vielleichtgab es einen Grund für Ihre Antipathie«, schlug Romy vor. »Einen nachvollziehbaren Grund.«
Lotte winkte ab. »Ich habe Ihnen schon am Handy erklärt, dass …«
»Möglicherweise hat Monika Fehler in der Kindererziehung gemacht«, fiel Romy ihr ins Wort.
Ein winziges, unschönes Lächeln überschattete für einen kurzen Moment Lottes Gesicht. »Keine Ahnung, wie sie in ihrem Job war. Mich hat sie jedenfalls nicht erzogen, darauf können Sie sich verlassen.«
Oha, dachte Romy. Ihre betont gleichmütige Haltung geriet einen Moment ins Wanken, als sie die
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