Duerers Haende
der Kräutergärtnerin in die Höhe geragt war, klaffte nun ein fußballtiefes Loch, hübsch garniert mit klein gehäckselten Salbeistängeln.
Anerkennend pfiff Paula Steiner durch die Zähne. »Das nenne ich mal eine saubere Arbeit. Max, hier hast du dich wirklich selbst übertroffen.«
Dagegen fiel der Applaus von Johanna Steiner wesentlich verhaltener aus. »Och, das ist ja furchtbar. Furchtbar. Max, du Depp, was hast du denn da gemacht? Und du brauchst gar nicht so zu grinsen. Von mir kriegst du heuer jedenfalls keinen Tee von frischem Salbei mehr.«
Frau Steiner senior nahm ein paar Stielenden in die Hand, um sie genauer zu betrachten. »Hm, die Wurzeln sind komplett weg. Da ist nichts mehr zu machen.«
Paula folgte ihrer Mutter, die nach dieser niederschmetternden Diagnose den Ort der Verwüstung abrupt verlassen hatte, ins Haus. »Ich an deiner Stelle würde es positiv sehen: Du kannst jetzt ganz beruhigt sein – in diesem Beet ist keine einzige Maus mehr, nicht einmal ein klitzekleines Mäusle.«
Eine Weile standen sich Mutter und Tochter stumm und ernst in der Diele gegenüber. Schließlich brach Johanna Steiner das Schweigen, indem sie laut auflachte. »Aber auch kein Salbei. – Du, es tut mir leid, aber ich muss jetzt weg. Die Annegret hat doch heute Geburtstag. Hast du Zeit? Geh halt mit. Sie würde sich bestimmt sehr freuen.«
Ein Besuch bei ihrer unablässig schwätzenden Tante, deren geistiger Horizont auf Putzen, Waschen und ihre undankbare Schwiegertochter begrenzt war? »Das geht leider nicht, ich hab noch was vor. Aber ich fahr dich und das Maxl hin.«
Während der kurzen Autofahrt betrachtete ihre Mutter sie skeptisch vom Beifahrersitz aus. »Sag mal, Paulchen, ist was passiert? Du schaust so ernst.«
»Ach, das erzähle ich dir ein anderes Mal. Wenn wir mehr Zeit haben.«
Auf dem Weg zurück in die Innenstadt hielt Paula Steiner in der Äußeren Sulzbacher Straße rechts an. Ging zum Delikatessengeschäft »Fränkische Wurstwaren« auf der anderen Straßenseite und kaufte zweihundert Gramm grobe Leberwurst, einen Viertel Frankenlaib und extrascharfen Senf. Nach diesem trüben Tag und seinen Abfuhren war ihr die Lust aufs Kochen vergangen. Und der Menü-Vorschlag von Heinrichs Zimmergenosse hatte verlockend geklungen.
Als sie in den Vestnertorgraben einbog, registrierte sie die Parklücken mit Befriedigung. Seitdem auch hier ab neunzehn Uhr nur mehr Anwohner parken durften, fand sie fast immer einen Platz.
Bevor sie in ihre Wohnung hochstieg, war noch ein Abstecher in den Keller, zur Getränkeauswahl, fällig. Seit Kurzem hatte sie ihren Weinvorrat komplett ins Kellerabteil ausgelagert, also außerhalb ihres direkten Zugriffs, in der Hoffnung, dadurch ihren Alkoholkonsum einschränken zu können. Eine trügerische Hoffnung. Denn ein Grund oder Anlass für den Gang drei Etagen tiefer fand sich immer. Heute waren es das nasskalte Wetter, Heinrichs »Nur« und das vor ihr liegende neuartige kulinarische Erlebnis, das durch einen entsprechend herben und derben flüssigen Begleiter abgerundet werden sollte.
Es dauerte eine Weile, bis sie ihre Wahl zwischen dem 2003er Grünen Veltliner und dem fränkischen Grauburgunder aus dem Jahr 2006 getroffen hatte. Zugunsten des Franken aus Iphofen. Auf dem Weg nach oben entschied sie, auf die österreichischen Sorten-Weingläser – ein Geschenk ihres Freundes Gerhard Hohenstein zu ihrem vorjährigen Geburtstag – zu verzichten. Zu fränkischem Leberwurstbrot passte ein einfaches Wasserglas besser als diese mundgeblasenen Lifestyle-Dinger.
Während des Essens, das zügig auf dem Tisch stand und ebenso zügig beendet war, richtete sie ihren Blick auf die vor ihrem Küchenfenster liegende Kaiserburg. Für sie das markanteste und schönste Gebäude ihrer Heimatstadt. Und das beruhigendste. Das ihr schon oft Trost gespendet hatte, indem es die Verstörungen und Verletzungen des Alltags als das erscheinen ließ, was sie waren – harmlos und nebensächlich. Burgfried und Kaiserstallung spendierten ihr immer eine Extraportion Sicherheit und Stärke, verringerten ihre Angst vor der eigenen Unzulänglichkeit. Halfen ihr dabei, das private und berufliche Chaos besser zu bewältigen und dem Dasein einen zumindest kleinen Sinn abzugewinnen. Verlässlich und stets aufs Neue. Auch an diesem Abend des Iphofer Grauburgunders und der Leberwurstbrote.
Und dennoch wanderten ihre Gedanken zurück … und sie versetzte Heinrich einen Rempler und brachte ihn dadurch
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