Duftspur
warte, bis er aufgelegt hat und klopfe.
»Ja«, kommt es gestresst aus dem Inneren des kleinen Büros. Bevor ich irgendetwas sagen kann, geht Alfons mir mit ausgestreckter Hand entgegen:
»Du wolltest dich verabschieden ... ja, Mensch, schade, ich habe bis zuletzt gehofft, dass du verlängern kannst ... doch der Auftrag, du weißt, der von der einen Firma, die die Fahrradständer bestellt haben, ja, die Firma hat Konkurs angemeldet und eben das, das war die Chefetage, die haben noch mal deutlich gemacht, dass auch wir sparen müssen ... und der Gesetzgeber weiß ja auch noch nicht, was er nach dem halben Jahr Beschäftigungsverhältnis mit den Leuten machen soll ... was hast du denn jetzt vor? Also, wenn was ist ...«, sprudelt es nervös aus ihm heraus, wobei er die ganze Zeit meine Hand fest umklammert und nicht loslässt, als wäre Leim dazwischen. 10,40 Euro für eine volle Arbeitskraft täglich und sie müssen sparen. Außerdem bekommen sie noch Geld dafür, wenn sie Langzeitarbeitslose ›weiter qualifizieren‹. Wahrscheinlich muss man nicht alles verstehen. Vielleicht muss ich meinen Anspruch an das Leben im Allgemeinen und mich im Besonderen reduzieren, denk ich mir. Alfons wirkt sehr angeschlagen. Abrupt lässt er meine Hand los, die halb taub neben mir herbaumelt.
»Stress?«, wage ich die Frage. Mein Gegenüber strubbelt sich durch die glänzend schwarzen Haare, wobei große feuchte Flatschen unter seinen Achseln sichtbar werden. Obwohl er nur ein Jahr jünger ist als ich, hat er noch kein einziges graues Haar. Wahrscheinlich liegt es daran, dass er nie verheiratet war.
»Ja«, kommt es abwesend aus dem schmalen Mund. Alfons könnte einen richtigen Schlag bei den Frauen haben, würde er ein bisschen mehr auf sich achten. Er neigt seit kurzem zum Bauchansatz und ich habe ihn schon beim Trinken ertappt. Schade, das wäre wirklich schade, wenn so ein vom Helfen beseelter Mensch vor die Hunde ginge. Ich will ihn seiner selbst überlassen und wende mich zum Gehen.
»Ach, Heiner, lass mal deine Handynummer da, vielleicht komme ich noch mal auf dich zu, vielleicht ergibt sich ja was«, seine Gemütslage scheint sich ein wenig erholt zu haben, dem Klang seiner Stimme nach zu urteilen. Ich habe gar kein Handy.
»Du erreichst mich unter dem Festnetzanschluss, manchmal auch unter dieser Nummer.«
›Heute ist nicht alle Tage, ich komm wieder, keine Frage‹, endet Billes rosarote Panther-Strophe in meinem Kopf. Ich kritzle ihm die Nummer von Rudis Tankstelle auf die Schreibtischunterlage.
»Ich muss noch ein paar Anrufe machen und dann kann ich dir mehr sagen. Vielleicht könntest du mir aus der Klemme helfen«, redet Alfons, den Blick nach innen gerichtet. »Ja, ja, keine schlechte Idee ...«, murmelt er, greift zum Hörer und gebietet mir durch sein Innehalten beim Tippen der Nummer, dass ich gehen soll.
Wir heben beide eine Hand zum Gruß und ich verlasse sein Büro. Ob er mich tatsächlich anrufen wird um mir einen Job anzubieten. Ich habe erfahrungsgemäße Zweifel. Immerhin kann ich noch in der Tankstelle arbeiten. Bei Rudi werde ich jetzt wohl öfter jobben, hoffe ich. Man gönnt ja niemandem was Schlechtes, aber wenn Aaron, Siegener Student der Wirtschaftsinformatik und Anwärter auf die B-Mannschaft der Siegener Sportfreunde, seinen Kreuzbandabriss immer noch nicht auskuriert hat, dann könnte ich seine Schichten übernehmen. Die eigene Not zehrt mal wieder an meinem sozialen Gewissen. Als dies das letzte Mal der Fall war, hatte ich anschließend eine Menge Aufregung und schlussendlich einen Anflug von Liebeskummer. Kennen Sie das? Sie begegnen einem Menschen, von dem Sie geglaubt haben, dass es ihn in Ihrem Leben niemals mehr geben wird. Sie sind begeistert, fasziniert, ja, verliebt. Verliebt in eine Vorstellung, wie sich dann herausstellt. Immerhin eine wahnsinnig schöne Vorstellung. Immerhin. Besser als nix, ist dann die Frage, die sich stellt, wenn Sie die Vorstellung im persönlichen Kontakt erleben und sich die Prinzessin oder der Prinz als ganz normaler Mensch entpuppt, der wohlmöglich, sicher wahrscheinlich, ganz andere Vorstellungen von Ihnen hat, als Sie von ihm oder ihr. Und ganz sicher eine komplett andere Vorstellung von dem, was Sie sich als nähere Zukunft gewagt haben auszumalen. Peng. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass es nie aufhört, selbst dann nicht, wenn man vielfach eines Besseren belehrt wurde, es hört nicht auf, bleibt am Menschsein haften wie die Fliege am
Weitere Kostenlose Bücher