Dune 01: Der Wüstenplanet
sie aus Vorherbestimmung, und zu wie vielen Teilen ist der Prophet selbst an der Formung der Zukunft beteiligt? Welche Harmonien müssen im Einklang mit der Vorhersage stehen? Sieht der Prophet die Zukunft klar vor sich, oder vielmehr eine Reihe sich schwach abzeichnender Linien, die er mit Worten verbindet?
›Private Reflexion über Muad'dib‹,
von Prinzessin Irulan
»Nimm ihr Wasser«, hatte der Mann aus der Dunkelheit der Nacht gerufen. Paul kämpfte seine Angst nieder, sah zu seiner Mutter hinüber und stellte fest, daß sie ebenfalls kampfbereit dastand.
»Es wäre bedauerlich, müßten wir euch gleich auf der Stelle umbringen«, sagte die Stimme über ihnen.
Das ist der Mann, der zuerst zu uns sprach, dachte Jessica. Sie sind also mindestens zu zweit – einer rechts und einer links von uns.
»Cignoro hrobosa sukares hin mange la pchagavas doi me kamavas na beslas lele pal hrobas!«
Der Mann zu ihrer Rechten rief etwas über das Tal hinweg. Während Paul nichts davon verstand, waren die Worte für Jessica klar. Die Sprache war Chakobsa, eine der frühen Jagdsprachen, und der Mann über ihnen hatte damit ausgedrückt, daß sie wahrscheinlich die beiden Personen seien, die sie suchten.
In der plötzlichen Stille, die diesem Ausruf folgte, glitt der zweite Mond, matt leuchtend in seiner blauen Farbe, über die Felsen. Das Tal wurde in einen hellen Schein getaucht, und aus allen Ecken erklangen leise, raschelnde Geräusche, wie von Männern, die aus der Finsternis der Felsschründe heraus offenes Gelände betraten. Paul sah eine Reihe von Schatten und dachte: ein ganzer Trupp!
Ein hochgewachsener Mann, der in einen Burnus gekleidet war, kam auf sie zu und blieb vor Jessica stehen. Er hatte das Tuch, das sein Gesicht vor dem Sand schützte, zur Seite geschoben, so daß sein dichter, schwarzer Bart zu sehen war. Augen und Nase blieben weiterhin unter dem Schatten der Kapuze verborgen.
»Was haben wir hier?« fragte er. »Djinn oder Mensch?«
Als Jessica die Beruhigung ausstrahlende Stimme des Fremden hörte, schöpfte sie wieder schwache Hoffnung. Doch die Stimme klang auch befehlsgewohnt. Dies war der Mann, der sie als erster aus dem Dunkel heraus angerufen hatte.
»Mensch, nehme ich an«, beantwortete der Mann seine eigene Frage.
Jessica fühlte das unter seiner Robe verborgene Messer mehr, als daß sie es sah. Es war ein bitteres Gefühl für sie, zu wissen, daß weder Paul noch sie über Körperschilde verfügten.
»Könnt ihr auch sprechen?« fragte der Mann.
Jessica konzentrierte alle verfügbare Arroganz in Stimme und Gebaren. Obwohl sie der Meinung war, daß es die Lage dringend erforderte, eine Antwort zu geben, war sie sich noch nicht klar darüber, wie sie den Mann zu packen hatte und wo seine Schwächen lagen.
»Wer macht sich hier wie eine Bande von Verbrechern in der Nacht an uns heran?« verlangte sie zu wissen.
Der von seiner Kapuze verborgene Kopf ihres Gegenübers zuckte zurück, fing sich aber rasch wieder. Der Mann hatte sich gut unter Kontrolle.
Um ein schwierigeres Ziel zu bieten, entfernte sich Paul unauffällig etwas von seiner Mutter, wissend, daß es ihnen, falls es zu einem Kampf kommen sollte, bessere Chancen einräumen würde.
Der Kopf des Mannes drehte sich und wandte sich Paul zu. Das Mondlicht zeigte jetzt einen Teil des Gesichts. Jessica sah eine scharfgeschnittene Nase und ein glitzerndes Auge – es ist dunkel, völlig dunkel und ohne das geringste Weiß –, schwere Augenbrauen und einen gesträubten Schnauzbart.
»Anfänger«, sagte der Mann Paul zugewandt, und dann: »Wenn ihr vor den Harkonnens geflüchtet seid, seid ihr uns vielleicht willkommen. Wie sieht es aus, Junge?«
Mehrere Möglichkeiten zuckten durch Pauls Gehirn: Ist es nur ein Trick? Oder spricht er die Wahrheit? Auf jeden Fall mußten sie zu einer schnellen Entscheidung gelangen.
»Aus welchem Grund sollten euch Flüchtlinge willkommen sein?« fragte er.
»Ein Kind, das wie ein Mann denkt und redet«, erwiderte der Hochgewachsene. »Nun, um diese Frage zu beantworten, mein junger Wali, brauche ich nicht weit auszuholen. Ich bin einer von denen, die sich weigern, den Harkonnens den Fai – den Wassertribut – zu zahlen. Aus diesem Grund heiße ich Leute, die vor ihnen flüchten, willkommen.«
Er weiß, wer wir sind, dachte Paul, auch wenn er sich bemüht, uns das nicht merken zu lassen.
»Ich bin Stilgar, der Fremen«, sagte der große Mann jetzt. »Löst das vielleicht deine Zunge,
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