Dune 01: Der Wüstenplanet
unterschied er sich explizit von den bisweilen sehr naiven Vorstellungen vieler Golden-Age -Vertreter – hielt er es für einen gefährlichen Irrglauben, den historischen Prozeß in die Zukunft hinein planen zu wollen, ja gar voraus zu berechnen. In einem Essay schreibt er: »Viele Menschen wollen nicht wahrhaben, daß wir uns in einer Art Jam-Session mit dem Universum befinden und daß die Erschaffung einer wirklich menschlichen Gesellschaft möglicherweise mehr eines künstlerischen Ansatzes bedarf als eines wissenschaftlichen.« Eine Foundation, die unsere Zivilisation durch die Jahrhunderte geleiten soll, wie sie Isaac Asimov in seiner berühmten Trilogie vorschwebt, wäre bei Herbert längst an ihrer eigenen Korrumpierbarkeit gescheitert oder zu einer machtbesessenen Sekte degeneriert. Also verweigert er sich einer Universalgeschichte der Zukunft, einer mit futuristischen Mitteln nacherzählten Vergangenheit, wie sie das Golden Age in mannigfaltiger Form hervorgebracht hat, und erzählt Zukunft so, wie die Historiker nach dem Scheitern aller bisherigen universalgeschichtlichen Ansätze Geschichte interpretieren: als offener, sich ständig neu formierender Prozeß. Und so ist ›Der Wüstenplanet‹ keine Future History im traditionellen Sinne mehr, sondern eine Art Future in Progress, eine Historie der fortlaufenden Ereignisse, die – erstmalig in der modernen Science Fiction – versucht, der Komplexität und Irrationalität menschlichen Verhaltens, der ökologischen Bedingtheit menschlicher Existenz und der Möglichkeit völlig neuer Verhaltensweisen und Motive gerecht zu werden. Ein überaus ambitioniertes Unternehmen, doch Herbert kamen seine langjährige berufliche Tätigkeit als Journalist und sein autodidaktisches Talent zugute. * Belesen und recherchewütig wie kaum ein anderer SF-Autor, bediente er sich aus allen Kulturen, Religionen und Zeitaltern der Menschheitsgeschichte – die Analogien sind kaum zählbar: ein absolutistisches Sternenimperium vor dem Ausbruch der Französischen Revolution, eine OPEC des interplanetaren Gewürz-Handels, eine aus den Grabenkämpfen des Islam entstandene Religion, ein Dritte-Welt-Planet, dessen Rohstoffe ausgebeutet werden, ein kosmisches Machtspiel, an dem Bismarck seine Freude gehabt hätte – und amalganisierte daraus ein Szenario, das nun wirklich größer ist als seine Teile und trotz vieler Trivialitäten bis heute nichts von seiner kreativen Wucht verloren hat.
Dem folgend ist ›Der Wüstenplanet‹ auch kein morality play, wie es die frühen SF-Epen so oft waren, sondern eine präzise Macht- und Systemstudie einer politischen Ordnung, die nach machiavellistischen Prinzipien funktioniert und – obwohl natürlich an der grundsätzlichen Sympathie des Lesers, was die handelnden Figuren betrifft, kein Zweifel besteht – es unmöglich macht, diese Figuren moralisch eindeutig zu verorten. Dies gilt insbesondere für Paul Atreides. Nicht nur läßt bereits sein Name an eine griechische Tragödie denken, er ist auch eine Figur, die weniger an Genre-Vorbilder erinnert, sondern an die archaischen Helden der frühen Sagen: Ein Mann, der in einen künstlich erzeugten Mythos hineinwächst, seine historische Notwendigkeit akzeptiert und der ihm bestimmten Rolle mehr als gerecht wird – und über dessen Heldensaga doch die zarte Melancholie des Scheiterns liegt. »Am Ende kann dasselbe«, schreibt Norman Spinrad, »was sich auf der einen Ebene als endgültiger Triumph interpretieren läßt, auf der anderen Ebene als Tragödie gelesen werden. Und das ist die Ebene, auf der Paul Atreides – zu Muad'dib geworden, zu ›Kwisatz Haderach‹ und Padischah-Imperator – es wahrnimmt. Seine Fähigkeit zur Zukunftsschau mag ihn zum Gottkönig dieses fiktiven Universums machen, doch er kann der deterministischen Bestimmung dieser Rolle und dem Djihad, den sie mit sich bringen wird und den zu vermeiden er so lange versucht hat, nicht entgehen.«
Die deutsche Erstausgabe des zweiten Wüstenplanet-Bandes von 1971
Diese unterschiedlichen Ebenen sind ein grundlegendes Merkmal des ›Wüstenplaneten‹, wie auch die häufig übersehene Tatsache, daß Frank Herbert seine Saga von Anfang an auf mehrere Romane verteilt hat, ja weite Strecken des zweiten und dritten Bandes bereits geschrieben hatte, bevor der erste ganz fertiggestellt wurde, und daß John W. Campbell, der beim ersten Roman noch begeistert zugegriffen hatte, weil er in ihm eine Variante der von ihm so
Weitere Kostenlose Bücher