Dune - Frühe Chroniken 01 - Das Haus Atreides
eine zusätzliche Wasserration, die das Tier in Literjons auf dem Rücken trug.
Im Schatten eines frühen Morgens führte der bärtige Kynes seine Familie über einen gewundenen Pfad, den nur ein Fremen als begehbaren Pfad erkennen würde. Genauso wie Frieth hatte er nun die blauen Augen des Ibad. Der Wüstenesel suchte sich einen Weg über den steilen Hang, ohne einen Laut der Klage von sich zu geben. Kynes machte es nichts aus, zu Fuß zu gehen, nachdem er sich den größten Teil seines Lebens auf diese Weise fortbewegt hatte, vor allem während der jahrelangen ökologischen Studien auf Salusa Secundus und Bela Tegeuse. Seine Muskeln waren sehnig und hart. Außerdem konnte er viel besser auf die unterschiedlichen Steine und den Sand unter seinen Stiefeln achten, wenn er zu Fuß ging – statt auf die fernen Berge oder die glühende Sonne.
Frieth schenkte ihrem Gatten jedes Mal dienstbeflissen ihre ganze Aufmerksamkeit, wenn er sie auf eine Felsformation hinwies, die Zusammensetzung des Bodens untersuchte oder geschützte Spalten auf ihre Eignung zur künftigen Bepflanzung prüfte. Nach anfänglichen Unsicherheiten machte sie ihn auf bestimmte Dinge aufmerksam. »Die größte Stärke der Fremen ist die Beobachtungsgabe«, sagte Frieth, als würde sie ein Sprichwort zitieren. »Je mehr wir beobachten, desto mehr wissen wir. Und dieses Wissen gibt uns Macht, insbesondere über jene, die nicht genau hinschauen.«
»Interessant.« Kynes wusste nur wenig über den Werdegang seiner Fremen-Frau. Er war viel zu beschäftigt, um sie nach Details aus ihrer Kindheit oder ihren Interessen auszufragen, aber sie schien es nicht im Geringsten zu stören, dass er so sehr von seiner Arbeit beansprucht wurde. In der Fremen-Kultur lebten Ehepaare in völlig unterschiedlichen Welten, die nur durch wenige schmale Brücken verbunden waren.
Kynes wusste jedoch, dass die Fremen-Frauen als wilde Kämpferinnen berüchtigt waren. Sie waren tödliche Gegnerinnen auf dem Schlachtfeld und im Nahkampf gefürchteter als imperiale Soldaten. Bislang war es ihm erspart geblieben, Frieth in dieser Hinsicht näher kennen zu lernen, und er hoffte, dass er es niemals mit eigenen Augen miterleben musste. Als Feindin wäre sie zweifellos genauso entschlossen, wie sie es als Freundin war.
Irgendwann stach ihm ein kleiner Fleck mit Vegetation ins Auge. Er ließ den Kulon anhalten und ging in die Knie, um die kleine, blassgrüne Pflanze zu studieren, die in einer Vertiefung wuchs, wo sich Staub und Sand gesammelt hatten. Er identifizierte das Exemplar als seltene Wurzelpflanze und schüttelte den Staub von den winzigen wächsernen Blättern.
»Schau mal, Frieth«, sagte er wie ein Lehrer mit leuchtenden Augen. »Ein Musterbeispiel für die Hartnäckigkeit des Lebens.«
Frieth nickte. »In Zeiten der Not haben wir die Wurzeln dieser Pflanze ausgegraben. Es heißt, dass eine einzige Knolle bis zu einem halben Liter Wasser enthalten kann. Damit kann ein Mensch mehrere Tage lang überleben.«
Kynes fragte sich, wie viel Wissen über die Wüste die Schwester von Stilgar in ihrem Fremen-Gedächtnis gespeichert haben mochte. Bis jetzt hatte sie ihm so gut wie nichts davon anvertraut. Aber er wusste, dass es seine eigene Schuld war, wenn er ihr nicht genügend Aufmerksamkeit schenkte.
Der Kulon entdeckte die frischen Blätter und näherte sich mit gierig geblähten Nüstern. Aber Kynes drängte das Tier zurück. »Diese Pflanze ist zu wichtig, um dir als Zwischenmahlzeit dienen zu können.«
Er suchte den Boden ab, konnte in der unmittelbaren Umgebung aber keine weiteren Exemplare der Pflanze entdecken. Soweit er wusste, waren sie auf Dune heimisch, vermutlich die Überlebenden der unbekannten Katastrophe, die der Oberfläche dieser Welt fast sämtliche Feuchtigkeit entzogen hatte.
Die Reisenden machten eine kurz Rast, um ihr Kind zu füttern. Als Frieth auf einem Felssims einen Schattenschweber installierte, erinnerte sich Kynes an die Arbeit der vergangenen Monate und die beträchtlichen Fortschritte, die er und sein Volk in ihrem mehrere Jahrhunderte umfassenden Projekt bereits erzielt hatten.
Vor langer Zeit waren auf Dune botanische Experimente durchgeführt worden. In den Tagen der Expansion des Imperiums hatte man auf diesem isolierten Vorposten einige Testpflanzungen angelegt, noch bevor die parapsychischen und geriatrischen Eigenschaften der Melange entdeckt worden waren ... als diese Welt nicht mehr als eine Wüstenhölle ohne erkennbaren
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