Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
lästig – ein heftiger Schmerz, der seinen Ursprung in seinem linken Handrücken hatte und sich bis in die Schulter und die Halsmuskulatur hinaufzog. Mühsam drehte er den Kopf in den gesteiften Kissen, blickte an sich herab und sah, daß seine linke Hand dick verbunden war. Aus der weißen Gaze ragte ein durchsichtiger Kunststoffschlauch, der in einer Injektionsnadel endete. Jan hatte sich immer gefragt, warum sie seit einigen Jahren dazu übergegangen waren, den Patienten die Nadeln in den Handrücken zu stechen, statt auf die gute alte Art in die Armbeuge. Ihm erschien diese neue Methode unpraktisch, denn sie ließ, so stand zu vermuten, nicht nur die Hand vollkommen nutzlos werden, sondern tat auch höllisch weh.
Mit beiden Vermutungen hatte er recht gehabt.
»Gott sei Dank, du bist endlich wach!«
Zwei oder drei der Geräte, an die er angeschlossen war, begannen protestierend zu piepsen, als sein Herz einen erschrockenen Sprung machte. Jan drehte hastig den Kopf auf die andere Seite und stellte fest, daß er nicht so allein im Zimmer war, wie er im ersten Moment angenommen hatte. Katrin saß auf einem unbequem aussehenden Stuhl neben ihm, und er mußte sie nicht fragen, ob sie etwa die ganze Nacht dort verbracht hatte. Ihr Blick paßte zu der schlaftrunkenen Stimme. Das Haar hing ihr wirr ins Gesicht, und unter ihren Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet. Ihr Make-up war verlaufen, als hätte sie geweint. Katrin weinte oft und gern.
»Was –?« murmelte Jan.
»Mach dir keine Sorgen, Jan«, unterbrach ihn Katrin. »Es wird alles wieder gut.«
Jan machte sich keine Sorgen. Er hatte viel zu wenig Informationen, um sich Sorgen zu machen. Aber er fühlte sich miserabel.
»Hast du die ganze Nacht hier gesessen?« fragte Jan.
»Selbstverständlich«, erwiderte Katrin in einem Ton, der irgendwie empört klang; als empfände sie es schon als die Andeutung einer Beleidigung, daß er auch nur daran zweifelte . »Wie fühlst du dich?«
»Keine Ahnung«, gestand Jan. »Nicht besonders gut?«
»Was denn nun?« Katrin unterdrückte ein Gähnen, fuhr sich mit den Fingerknöcheln beider Hände über die Augen und sah auf die Uhr. Sie erschrak ein bißchen. »Keine Ahnung oder nicht besonders gut?«
»Keine Ahnung«, sagte Jan. »Aber das hier ist ein Krankenhauszimmer, oder? Also sollte ich mich entsprechend schlecht fühlen … wenigstens ein bißchen.«
»Du wirst nie erwachsen, was?« seufzte Katrin. Sie lachte,aber ihr Gesicht blieb bei diesem Lachen ernst; auf eine Art, die Jan ganz und gar nicht gefiel.
»Du verschweigst mir nicht zufällig was?« fragte er.
»Eine ganze Menge«, antwortete Katrin todernst. »Aber das kann ich einem Mann in deinem Zustand unmöglich sagen, weißt du? Wir reden später darüber.« Plötzlich grinste sie, stand auf und hauchte ihm einen flüchtigen, etwas zu feuchten Kuß auf die Stirn. »Und jetzt hör auf, dir Sorgen zu machen. Ich rufe den Arzt. Er kann dir alles erklären.«
»He!« protestierte Jan. »Ich will nicht, daß mir jemand etwas erklärt. Am Ende muß ich mir wirklich Sorgen machen!«
Katrin ignorierte seine Widerrede, drehte sich herum und schob sich unbeholfen an seinem Bett vorbei auf die Tür zu. Ihre Bewegungen waren ziemlich unsicher. Entweder, er hatte sie aus der tiefsten REM-Phase gerissen, oder sie hatte in der zurückliegenden Nacht so gut wie gar nicht geschlafen. Wahrscheinlich traf beides zu.
Sie öffnete die Tür, drehte sich noch einmal zu ihm herum und sagte: »Lauf nicht weg, okay?«
Vielleicht waren ihre Worte gar nicht so scherzhaft gemeint, wie sie sich im ersten Moment anhörten. Sie kannten sich seit vier Jahren, vielleicht noch kein Leben lang, aber lang genug.
Und sie kannte seine Aversion gegen Krankenhäuser. Offensichtlich traute sie ihm durchaus zu, sich die Nadel aus der Hand zu reißen und in einem hinten offenen Krankenhaus-Nachthemd aus dem Zimmer zu spazieren.
Ein seltsames Gefühl von Alleingelassensein machte sich in Jan breit, nachdem Katrin gegangen war. Ein sehr unangenehmes Gefühl. Er mußte wieder an seinen Traum denken, und mit einem Male war er gar nicht mehr sicher, daß es wirklich nur ein Traum gewesen war. Es war so realistisch gewesen wie nur irgend etwas, was er zuvor erlebt hatte. Andererseits – erwar noch niemals krank gewesen, und er hatte so etwas wie am vergangenen Abend noch nicht einmal annähernd erlebt; wie also sollte er beurteilen, was in einem solchen Moment normal war und was nicht?
Er
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