Dunkel - Hohlbein, W: Dunkel
Jan schaudern ließ. »Sie hatten mehr Glück als Verstand, Herr Feller.«
»Er hatte einen Herzanfall !« korrigierte ihn Katrin. Ihre Stimme klang ein bißchen hysterisch, fand Jan. Er vermied es ganz bewußt, sie anzusehen, sondern konzentrierte sich ganz auf den Arzt.
»Herzstillstand«, sagte Mertens. »Das ist ein Unterschied.«
»Aber … aber das ist unmöglich«, murmelte Jan verstört. »Ich meine, ich … ich treibe Sport. Ich bin zweiunddreißig. Ich rauche kaum, und … und ich achte auf gesundes Essen.«
»Und trotzdem passiert so etwas von Zeit zu Zeit«, sagte Mertens. »Natürlich müssen wir Sie in den nächsten Tagen noch gründlich untersuchen, aber nach meinem ersten Eindruck sind Sie kerngesund – um es einmal so auszudrücken. So etwas passiert. Niemand weiß genau, warum.«
»Ein Herzstillstand?« vergewisserte sich Jan. »Einfach so?«
»Einfach so«, bestätigte Mertens. Er stand auf. »Aber nun machen Sie sich keine unnötigen Sorgen. Sie sind in besten Händen«, sagte der Mann. Er lächelte, diesmal war es ein berufsmäßiges, durch und durch unechtes Lächeln, setzte dazu an, mit seiner wenig überzeugenden Erklärung fortzufahren, und aus seiner Tasche drang ein helles, rhythmisches Piepsen. Seine Hand glitt so schnell in den Kittel, daß die Bewegung schon fast erschrocken wirkte, und zog ein Gerät hervor, das Jan an seinen eigenen »Scall« erinnerte, aber wesentlich komplizierter aussah. Mertens warf nur einen flüchtigen Blick auf das Display und gab sich nicht die geringste Mühe, seine Erleichterung zu verhehlen, als er wieder aufsah.
»Mein Typ wird verlangt«, seufzte er. »Das ist das Problem, wenn man über ein normales Arztgehalt hinauswill. Andauernd will jemand, daß man auch etwas dafür tut.«
Jan ließ sich von seiner aufgesetzten Flapsigkeit nicht beeindrucken. Er kaufte sie ihm auch nicht ab. »Sie verheimlichen mir etwas, nicht wahr?« fragte er.
Mertens stand ächzend auf. »Natürlich. Die Höhe meiner Rechnung.«
»Werde ich sterben?« fragte Jan geradeheraus.
»Sicher«, antwortete Mertens. »In vierzig oder fünfzig Jahren. Vielleicht auch später. Die Medizin macht Fortschritte.«
»Verdammt noch mal, ich meine es ernst!« sagte Jan. Etwas … änderte sich. Die heitere Stimmung, die Mertens ganz bewußt zu verbreiten versucht hatte, war wie weggeblasen. Die Schärfe in Jans Stimme zerschnitt förmlich die Atmosphäre. Es schien kälter zu werden. Das Licht nahm ab, und alle Schatten schienen plötzlich mit harten, schwarzen Linien nachgezogen zu sein.
»Ich auch«, antwortete Mertens. Er lächelte nicht mehr. »Daß wir nicht wissen, was Ihnen zugestoßen ist, bedeutetnicht, daß Ihnen nichts fehlt, Herr Feller. Wir werden Sie in den nächsten drei Tagen gründlich untersuchen. Danach unterhalten wir uns weiter. Wenn Sie vorher auf einer Antwort bestehen, müssen Sie einen Hellseher konsultieren.«
Er ging und schloß die Tür hinter sich, noch bevor Jan eine weitere Frage stellen konnte. Jan starrte ihm wütend nach, rief sich in Gedanken aber selbst zur Ordnung. Seine Reaktion war überzogen. Es war ja sein gutes Recht, zu fragen, was mit ihm los war, und er hatte vielleicht auch noch das Recht, verärgert zu sein, weil seine Fragen nicht beantwortet wurden. Aber es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte Mertens angeschrien. Im Grunde genommen hatte er es, auch wenn er dabei nicht laut geworden war …
»Warum … stellst du so eine Frage?« murmelte Katrin. Sie blickte aus großen Augen auf ihn herab. Ihre Finger hatten sich mit aller Kraft um die Lehne des Stuhles geschlossen, auf dem Mertens gesessen hatte, und sie wirkte noch blasser und übernächtigter als zuvor.
»Welche Frage? Was mit mir los ist?«
»Ob du sterben wirst«, antwortete Katrin. Etwas Dunkles, das hinter Jan zu stehen schien, spiegelte sich in ihren Augen. Jan mußte sich mit aller Kraft beherrschen, um sich nicht im Bett herumzudrehen.
»Nur so«, antwortete er knapp.
»Nein«, behauptete Katrin. Der Schatten in ihren Augen versuchte, Substanz aufzunehmen. »Das war nicht nur so . Du verheimlichst mir etwas.«
Jan setzte zu einer lässigen Antwort an, aber die Worte wollten ihm einfach nicht über die Lippen kommen. Kälte erfüllte ihn, und er spürte quasi körperlich, daß sich etwas hinter ihm bewegte.
Aber es konnte nicht sein. Was immer hinter ihm war, flog genau in Katrins Blickrichtung. Sie hätte es unweigerlich gesehen.Was für ein Alptraum! Wieso
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