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Dunkelziffer

Dunkelziffer

Titel: Dunkelziffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Baum.
    Nur ein klein wenig. Nicht wirklich auffällig. Aber es war windstill. Der Baum konnte sich nicht bewegt haben.
    Gunnar Nyberg schlich näher heran. Vorne an der Hausecke hörte er das erste Geräusch. Ein Knarren. Ein Schritt auf einem Holzfußboden? Er beugte sich vor und blickte rasch um die Ecke. Eine Treppe führte zu einer kleinen Veranda vor der Haustür. Vermutlich führte auf der anderen Seite der Veranda eine entsprechende Treppe hinunter. Und die Haustür war angelehnt.
    Nyberg fingerte am Achselholster. Reingehen oder nicht? Er zog sich zurück, den Rücken an der Hauswand. Er wollte die Waffe nicht ziehen. Er hasste Schusswaffen. Es war noch nicht lange genug her, seit er einen Menschen erschossen hatte.
    Er wartete. Er wollte nicht warten. Das bedeutete, passiv die Zerstörung abzuwarten. Hineinzustürmen bedeutete anderseits, die Zerstörung aktiv zu beschleunigen. Ein ganz unmöglicher, unerträglicher Entschluss.
    Den er nicht zu ertragen brauchte.
    Die Tür glitt auf. Ein sehr langer Stiefel schob sich auf die Veranda. Ein Arm mit einem zusammengeklappten Laptop darunter. Und dann ein gebräuntes, aristokratisches Gesicht, das sich umsah.
    Ihre Blicke begegneten sich für den Bruchteil einer Sekunde. Im selben Augenblick, in dem Carl-Olof Strandberg die Treppe auf der anderen Seite hinunterstürmte, rief Gunnar Nyberg: »Stehen bleiben, oder ich schieße.«
    Aber als er in wenigen Sätzen die Treppe hinauf- und auf der anderen Seite wieder hinuntersprang, hatte er seine Waffe noch nicht gezogen. Er hatte sie auch noch nicht gezogen, als er Strandberg über das verwahrloste Grundstück zu einem Felsblock laufen sah. Als der einstige Kinderarzt den Laptop über den Kopf hob, hielt er sie jedoch in der Hand.
    Nyberg richtete die Pistole auf Strandbergs Rücken und brüllte: »Rühr dich verdammt noch mal nicht von der Stelle, du Scheißhaufen!«
    Strandberg hielt den Laptop immer noch hoch über den Kopf. Die Situation hätte blockiert sein sollen, angehalten. Aber als Strandberg den Laptop mit voller Kraft auf den Felsen schleuderte, wurde Gunnar Nyberg klar, dass er es wert war. Dass es Strandberg tatsächlich einen Schuss in den Rücken wert war, diesen Computer zu zerstören. Dass er es wert war, dafür zu sterben.
    Das Krachen, mit dem der Laptop auf den Felsen aufschlug, war von der scheppernden Art, die einem unmissverständlich klar werden ließ, dass vitale Teile zerbrochen waren. Als der schwere Fischerstiefel angehoben wurde, um die Bruchstücke in noch kleinere Stücke zu zertrampeln, hatte Nyberg schon gezielt. Nicht mit der Pistole.
    Er hatte sich geschworen, nie mehr auf einen Menschen zu schießen.
    Nur wenige Millimeter trennten den Stiefel noch vom Laptop, als Nyberg Strandberg rammte. Sie flogen in einem sonderbar langsamen Bogen über den Felsblock.
    Gunnar Nyberg hatte abgenommen und trainiert. Kilometer um Kilometer war er gelaufen und hatte Kilo um Kilo verloren. Aber ist man einmal zu Schwedens größtem Polizisten gewählt worden, behält der Körper eine gewisse Schwere. Er landete auf dem früheren Kinderarzt und hörte dessen Kopf mit einem knackenden Laut auf eine Felskante schlagen.
    Nyberg blieb einen Augenblick auf ihm liegen. Der Körper unter ihm schien leblos. Nyberg drehte Strandbergs Kopf zur Seite und tastete mit zitternder Hand nach der Halsschlagader. Sie pulsierte, ziemlich schnell zwar, aber deutlich und regelmäßig. Er richtete sich in eine hockende Stellung auf und drehte Strandberg auf den Rücken. Ein roter Fleck wuchs ihm auf der Stirn, aber es floss kein Blut. Und der Puls blieb deutlich. Der Mann schien ordentlich ausgeknockt zu sein.
    Gunnar Nyberg stand auf und atmete aus. Er sicherte die Pistole und steckte sie zurück in das Achselholster. Dann wandte er sich um. Der zerstörte Laptop lag schräg auf einer abschüssigen Partie des Felsens. Langsam glitt ein Teil aus dem zerstörten Gerät. Nyberg fing es auf und betrachtete es.
    Die Festplatte.
    Sie sah nicht stark beschädigt aus.
    Er fummelte ein Taschentuch aus der Hosentasche, wickelte die Festplatte ein und steckte sie vorsichtig in die leere Tasche seines Lumberjacks. Aus der anderen Tasche zog er sein Handy. Er beobachtete Carl-Olof Strandberg, der reglos dalag. Die Gefahr, dass er zu sich kam, war minimal.
    Nyberg gestattete sich ein gewisses Gefühl von Zufriedenheit. Zwar hatte er ein wenig spät reagiert, aber als die Einsicht einmal da war, lief es wie geschmiert. Strandberg hatte

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