Dunkelziffer
>das<, aber du weißt etwas anderes. Du weißt, warum Emily und Felicia keine Freundinnen mehr sind und Felicia deshalb deine Freundin geworden ist. Du weißt, was passiert ist, und ziehst Schlüsse daraus. Wir sehen die Schlussfolgerung, aber nicht die Vorgeschichte. Mit der Vorgeschichte musst du uns helfen.«
Vanja Persson sah mit einem merkwürdigen Blick zu Sara Svenhagen auf, als wäre sie zum ersten Mal in ihrem Leben ertappt worden, als wäre sie zum ersten Mal einem Menschen begegnet, der klüger war als sie selbst. »Felicia und Emily haben Dinge gemacht«, sagte sie leise.
»Das weiß ich, Vanja. Ich weiß auch, was für Dinge. Kannst du es nur ein wenig genauer beschreiben?«
»Sie haben Bilder gemacht«, sagte Vanja noch leiser. »Dann hat Felicia es bereut und wollte die Bilder zurückhaben.«
»Was für Bilder waren das, Vanja?«
»Sie haben doch gesagt, Sie wüssten es.«
»Ich weiß es. Aber ich will gern hören, dass du es auch sagst. Es waren also Bilder von...«
»Sie machten Bilder von sich, von sich selbst.« »Nacktbilder, ja.«
»Aber woher können Sie das wissen? Hat Felicia das wirklich erzählt?«
»So war es doch? Sag es nur, Vanja.«
»Ja, sie haben Nacktbilder voneinander gemacht. Und dann sollten die auf eine Homepage kommen.«
»Die Bilder sollten also ins Internet gestellt werden?«
»Ich glaube, ja. Felicia bekam Angst und wollte nicht mehr, und es hat eine Weile gedauert, bis Emily sich bequemt hat, ihr die Bilder zurückzugeben. Aber verdammt, es sind ja digitale Bilder. Es gibt keine Originale, nur Kopien, und es kann unendlich viele geben. Also, Felicia weiß es nicht genau. Es kann Tausende von Bildern im Internet geben. Und deshalb hat sie eine Scheißangst.«
»Weißt du sicher, dass Emily eine Homepage gemacht hat?«
»Nein. Aber sie ist eine, die immer aufs Ganze geht.« »Aufs Ganze geht?«
»Ja, sagt man das nicht? Sie wissen schon, keine halben Sachen eben.«
»Weißt du, warum Emily eine Homepage mit Nacktbildern gemacht hat? Was war der Zweck?« »Geld verdienen, natürlich.« »Natürlich?«
»Ja, es gibt viele, die das machen. Das Taschengeld aufbessern.«
Sara Svenhagen wusste nicht weiter und warf ihrer Kollegin einen Blick zu. Lena Lindberg erwiderte ihn. Es war ein Blickwechsel voll tiefen Unbehagens. Als wäre ein Geheimnis enthüllt worden, das alle lieber im Verborgenen belassen hätten. Ein Geheimnis über all die sonderbaren Abhängigkeiten des Lebens. Von Macht, Schuld, Begehren und Leben.
Sara schloss die Augen und versuchte, den passenden Anknüpfungspunkt zu finden.
»Also, Felicia machte einen Rückzieher«, sagte sie. »Stattdessen kam Julia ins Spiel.«
»Darüber weiß ich nichts«, sagte Vanja und sah ausgelaugt aus. Als wollte sie nicht recht glauben, dass das Gespräch genau die Richtung genommen hatte, die zu vermeiden sie sich vorgenommen hatte.
»Emilys neue beste Freundin nach Felicia wurde Julia, nicht wahr?«
»Ja. Aber über die beiden weiß ich nichts.«
Sara Svenhagen stand abrupt auf. »Dann danke ich dir, Vanja. Kannst du Julia hereinschicken?«
Vanja ging zur Tür. Sie sah noch jünger aus als auf ihrem Weg in die umgekehrte Richtung vor einigen Minuten.
War es wirklich so anstrengend?, dachte Sara und sah ihr nach. War die Pubertät für Mädchen tatsächlich so hart? Vanja öffnete die Tür, und Julia schlenderte herein, dunkel, derb und schlaksig auf eine fast jungenhafte, rockige Hip-Hop-Weise. Hinter ihr an der Tür drängten sich wieder neugierige Klassenkameraden. Einer der Jungen trug ein leuchtend rotes langärmeliges T-Shirt. Saras Blick blieb einen kurzen Augenblick daran hängen, wortlos und gedankenlos, nur wie an einem Fliegenfänger für ihre Aufmerksamkeit.
Dann kam wieder Leben in sie. »Jonatan Jansson!«, rief sie mit der militärischsten Stimme, derer sie fähig war.
Das knallrote T-Shirt erstarrte in der Türöffnung. Es dauerte mehrere Sekunden, bis sein Träger sich in ihre Richtung drehte.
Obwohl ihre Herzschläge vermutlich im Bruchteil einer Sekunde die Frequenz verdoppelt hatten, gelang es Sara Svenhagen, ihre Stimme wieder auf einen umgänglicheren Tonfall einzustellen. Sie sagte: »Dieses T-Shirt hattest du gestern nicht an, oder?«
»Doch«, erwiderte Jonatan Jansson piepsig.
»Aber nicht, als wir uns unterhalten haben. Da hattest du deinen grünen Fleecepulli an.«
»Da war es ja Abend, und es war kalt.«
»Aber gestern um diese Zeit, als ihr im Wald wart, um Emily zu
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