Dunkelziffer
die Kartenskizze absichtlich so umständlich angelegt, dass Nyberg aufgehalten würde, während er selbst längst bei Sten Larssons Haus angekommen wäre und den Laptop weggeschafft hätte. Alles hatte gepasst von dem Augenblick an, als Nyberg begriffen hatte, was da in Carl-Olof Strandbergs Blick aufgeblitzt war.
Auf dem Weg zum Haus wählte Nyberg eine Nummer. Während die Verbindung aufgebaut wurde, stieg er die Treppe hinauf und ging ins Haus. Er trat zu einem Schreibtisch und sah auf die Wand darüber. Er nahm gerade eine gerahmte Fotografie von der Wand, als Sara sich im Telefon meldete: »Ja, Sara.«
»Militärgrüner Fleecepulli?«, sagte Gunnar Nyberg. Einen Moment lang war es still.
»Du hörst dich ein bisschen komisch an«, sagte Sara schließlich.
»Ich habe ein Foto hier«, sagte Nyberg und hörte sich weiter komisch an. »Ein großer Lachs aus dem Ängermanälv zwischen einem Carl-Olof Strandberg im Angleroutfit und einem anderen Mann, der Sten Larsson sein dürfte. Er trägt die Angelrute und einen militärgrünen Fleecepulli.«
»Bingo«, stieß Sara aus.
»Du sagst es. Und ich glaube, wir brauchen auch einen Krankenwagen«, sagte Gunnar.
10
Ein Mann sieht ein Paar durch ein Fenster. Er steht mehrere Stockwerke hoch und schaut hinaus in den regnerischen Sommermorgen. Sein Blick erfasst das Paar im oberen Teil des Kronobergsparks. Sie stehen unter einem Regenschirm zwischen den Bäumen, wahrscheinlich sind ihre Hände ineinander verflochten. Dann lassen sie sich los und gehen auseinander, in verschiedene Richtungen, widerwillig getrennt, wie um nicht gesehen zu werden. Das Seltsame ist, dass sie gerade da gesehen werden. Von dem Mann im Fenster. Sein Name ist Paul Hjelm, und in ebendiesem Augenblick weiß er nicht, was er empfinden soll. Zuerst folgt sein Blick der Frau. Galanterweise ist sie es, die den Schirm mitnehmen darf. Sie läuft mit leichten Schritten hinunter zur Polhemsgata, und er denkt, er sollte sich darüber freuen, dass Kerstin Holm endlich jemanden gefunden hat, den sie lieben kann. Oder sollte er eher eine gewisse Trauer darüber spüren, dass es mit ihnen nichts wurde? Dass aus Paul Hjelm und Kerstin Holm kein Paar wurde? Wie einmal vor sieben Jahren. Und unzählige Male im Verlauf dieser Jahre, allerdings rein beruflich. Oder sollte er sogar einen Anflug von Eifersucht spüren? Aber eher doch wohl eine andere Art von Trauer. Er sieht dem Mann nach, der zur Bergsgata hinunterläuft, und denkt: Ich sollte Trauer verspüren über das makabre Spiel des Zufalls. Er sieht Bengt Äkesson um die Ecke verschwinden und hört eine allzu gut bekannte Stimme sagen: »Bengt Äkesson also. Kennst du ihn?«
Paul Hjelm verharrt noch einige Sekunden in diesem herausgehobenen Augenblick von widerstreitenden, aber starken Gefühlen.
Dann wandte er sich dem gut gekleideten Mann zu, der gerade mit der Hacke die Tür schloss, während er mit einem Tablett jonglierte, auf dem zwei randvolle Kaffeetassen standen.
»Gullan ist auf Mallorca«, sagte er entschuldigend und schaffte es, das Tablett auf seinem Schreibtisch abzusetzen, ohne dass ein Tropfen überschwappte.
Wie werde ich jemals über die Tatsache hinwegkommen, dachte Paul Hjelm, dass mein Vorgesetzter Niklas Grundström, Chef der Abteilung für Interne Ermittlungen bei der Polizei, eine Sekretärin hat, die Gullan heißt?
Er selbst war nur Chef der Stockholmsektion für Interne Ermittlungen. Und seine Sekretärin hieß Britta.
Gullan und Britta. Wo sind wir denn? Bei den Kindern von Bullerbü?
Mit dem Untertitel: Wir männlichen Chefs mit weiblichen Sekretärinnen...
»Ja«, sagte Paul Hjelm und setzte sich auf ein entsprechendes Zeichen in den etwas niedrigeren Besucherstuhl, »ich kenne Bengt Äkesson. Kommissar beim Dezernat für Gewaltverbrechen bei der Kripo Stockholm.«
Und Kerstin Holms Liebhaber.
Unterließ er zu sagen.
Grundström verteilte die Kaffeetassen mit eigentümlich abgespreiztem kleinen Finger und sagte: »Ich habe nicht gefragt, ob er dir bekannt ist. Ich wollte wissen, ob du ihn kennst.«
»Nein«, sagte Paul Hjelm. »Kennen tue ich ihn nicht.«
»Gut«, sagte Niklas Grundström und blies vorsichtig auf seinen Kaffee. »Es ist ein heißes Eisen. Die Anzeige kam vor einer Viertelstunde.«
»Sexuelle Belästigung?«
»Ja«, sagte Grundström, »überhaupt nicht gut.«
»Nein«, sagte Hjelm. »Aber wahrscheinlich?«
»Wir müssen wie üblich vorurteilslos an die Sache herangehen. Deshalb die Frage, ob du
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