Dunkle Burg
andere Höhle, durch die ein Wasser lief. Es war nicht tief oder breit, und inzwischen hatte ich jedes Richtungsgefühl verloren. Das Wasser floss von rechts nach links und ziemlich langsam – das war alles, was ich wusste. Eine Reihe von Booten mit flachen Böden lagen hintereinander angekettet im Wasser. Sie wurden zum Ufer gezogen, und wir alle stiegen ein. In jedem Boot nahm einer der Unterirdischen eine kurze Stange in die Hände, um uns abzustoßen und in der Mitte des Wasserlaufs zu halten. Wir fuhren los.
Niemand sprach. Das Wasser zog ruhig und fast ohne Gefälle dahin; kaum ein Wellenriffel bewegte den Wasserspiegel, bevor die Boote sich in Bewegung setzten. Nach einer Weile kamen wir zu einem Teich, wo die Ufer sich voneinander entfernten und die Boote gestakt wurden. Das Höhlendach wich weit nach oben zurück. Steinige Inseln erhoben sich aus dem dunklen Wasser, und der Lichtschein unserer Laternen spiegelte sich in langen, einander überschneidenden Bahnen, die in zitternde, wallende Bewegung gerieten, als unsere kleinen Bugwellen sie durchliefen. An einer Stelle gab es eine Querströmung und Wasser floss aus dem Teich über und rauschte irgendwo in unbekannte Tiefen. Und danach lehnten die Bootsführer sich ein wenig angestrengter in ihre Stangen, als liefe die Strömung jetzt gegen uns.
Arienne hatte zu ihnen gesprochen. Da ich mich an mein Versprechen halten wollte, hatte ich nicht erst versucht, ihr Gespräch zu belauschen. Jetzt sagte sie zu mir: »Vor uns liegt eine Hebeschleuse. Sitz einfach still und warte.«
Ich fragte nicht. Doch als wir sie erreichten, stockte mir der Atem. Es war ein Wasserfall – ein mehrere Schritte breiter Wasservorhang, der von der Felskante einer höher gelegenen Höhle herabstürzte. An der Felswand darunter war etwas befestigt, was wie zwei riesige Waagschalen aussah. Eine von ihnen lag vor uns im Wasser. Sie war groß genug, alle Boote aufzunehmen, und wir glitten hinein und warteten. Ein Tor schloss sich an der Vorderseite, um das Wasser drinnen zu halten, und dann versiegte der Wasserfall. Der Strom wurde umgelenkt und sein Wasser rauschte in die obere Schale der Waage, rasch zuerst, dann langsam, als die Gewichte sich auszugleichen begannen. Darauf hob sich die Schale, in der wir uns befanden, und die andere sank abwärts. Wir stiegen an der Felswand empor, mehrere Klafter hoch in die Luft, und die andere Schale sank an uns vorüber und kam im See unten zur Ruhe. Gleichzeitig erreichten wir die obere Ebene. Der Träger schwenkte uns ein wenig vorwärts und wir wurden in das angestaute Wasser des oberen Beckens gesetzt. Nun öffnete sich die andere Seite unserer Schale, und wir stakten hinaus in den höhergelegenen Teil des unterirdischen Wasserlaufes.
Die Boote glitten weiter, und die Dunkelheit um die kleinen Lichtinseln unserer Laternen war vollkommen. Sobald das Rauschen des Wasserfalls hinter uns verklungen war, gab es außer dem leisen Plätschern des Wassers an der Bordwand kein Geräusch. Nach einer Weile nickte ich ein.
Als ich erwachte, glitten die Boote an einen Landeplatz an einer Felsbank, die ein Stück in die Strömung hinausragte, so dass an ihrer Leeseite eine strömungsfreie Ausbuchtung entstanden war. Der Landeplatz reichte nur für ein Boot. Nacheinander nahmen wir unsere Bündel und verließen das Boot.
Sie winkten uns weiter. Einige der Leute, die mit uns gekommen waren, verließen uns hier, und andere nahmen uns in Empfang. Arienne tauschte Begrüßungen aus, dann erstarrte sie.
»Was ist los?«, fragte ich.
Arienne sah mich mit einem Ausdruck von Bestürzung an. »Nathan. Er ist ein tüchtiger und energischer Mann, das muss man ihm lassen. Wenn er sich etwas vorgenommen hat, lässt er nicht locker. Er hat mit seinem Heer schon den Pass besetzt und belagert die Sperrfeste. Ich dachte, wir würden noch wenigstens eine Woche Zeit haben.«
»Welche Sperrfeste? Was für einen Pass?«
Sie starrte mich an. »Du weißt es nicht?« Dann schüttelte sie den Kopf. »Dumme Frage, wie Ser Silvus sagen würde. Die Sperrfeste des Ordens sichert den einzigen Zugang zum westlichen Küstenland und liegt unter dem Orimentpass, über den die Straße durch das Gebirge führt. Die Ländereien des Ordens liegen größtenteils westlich der Berge. Nathan muss den Pass überwinden und die Sperrfeste erobern, wenn er die Herrschaft über den Orden und sein Land erringen will. Und das hat er sich vorgenommen.«
Ich zuckte die Achseln. Was kümmerte es
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