Dunkle Gebete
wehrte sie ab. »In zehn Jahren bin ich wieder draußen.«
Wir rutschten hier in die Irrealität ab.
»Cathy«, setzte ich an. Sie hob warnend einen Finger, und mir wurde klar, dass ich gar nicht anders konnte, als ihr ihren Willen zu lassen. Ich war schuld an den schrecklichen Dingen, die meine Schwester in meinem Namen getan hatte. Das Mindeste, was ich jetzt tun konnte, war, ihr diesen Namen zu lassen, wenn sie ihn tragen wollte.
»Vicky«, begann ich noch einmal, und mir war, als wäre irgendetwas Entscheidendes in meinem Innern mir für alle Zeit entglitten, nur weil ich dieses Wort ausgesprochen hatte. »Du hast vier Frauen umgebracht. Die werden dich nie –«
»Ach, Herrgott noch mal.« Sie beugte sich vor, hielt eine Hand hoch und begann an den Fingern abzuzählen. »Erstens werde ich auf schuldig plädieren und jede Menge Reue zeigen. Durch so was wird die Strafe immer reduziert. Zweitens werde ich eine Strafgefangene wie aus dem Bilderbuch sein. Ich werde eine Therapie machen, ich werde in die Kirche gehen, ich werde studieren. Wart’s ab. Bewährung in zehn Jahren.«
Der Vollzugsbeamte, der für den Raum zuständig war, fing an, zwischen den Tischen hindurchzuwandern und alle wissen zu lassen, dass die Besuchszeit fast vorbei sei. Sie blickte verblüfft zu ihm auf, dann sah sie mich an. Auf ihrem Gesicht malte sich so etwas wie Panik. In diesem Moment erhaschte ich einen kurzen Blick auf das ängstliche kleine Mädchen, an das ich mich von ihrem ersten Tag in der Grundschule her erinnerte.
Alle schickten sich zum Gehen an, die Gefangenen standen auf und gingen auf die Tür zu, durch die sie wieder zu ihren Zellen gelangen würden. Auch ich erhob mich, ließ mich von ihr kurz in den Arm nehmen und sah ihr dann nach, als sie auf die Tür zuhielt. Bevor sie verschwand, winkte sie, genauso, wie sie es als Kind immer getan hatte, wenn sie durch die Schultür gegangen war.
Ich drehte mich um und ging hinaus. Mir war klar, dass das Gefängnisdasein ihren Optimismus ein bisschen gedämpft haben würde, wenn ich sie das nächste Mal sähe. Und beim übernächsten Mal noch ein bisschen mehr. Und so würde es sehr lange weitergehen.
Was die Nachsichtigkeit des Justizsystems anging, irrte sie sich. Ganz gleich, auf was sie vor Gericht plädierte, wie sie sich im Gefängnis führte, sie würde nicht in zehn oder sogar in zwanzig Jahren entlassen werden. Meine Schwester würde den Rest ihres Lebens damit verbringen, dafür zu bezahlen, was sie getan hatte.
Und ich auch.
Anmerkungen der Autorin
Jack the Ripper: Mann oder Mythos? (Oder Miss!)
Elf Jahrzehnte der Faszination haben Anlass zu unzähligen Ideen, Erklärungen und Geschichten über die Verbrechen und die Identität des sadistischen Serienmörders gegeben, den die Polizei niemals gefasst hat. Wie Lacey sagt: »Jack war ein Mensch aus Fleisch und Blut, aber er ist zu einem Mythos geworden.« Hier sind ein paar meiner liebsten abwegigen Ripper-Theorien.
1. Jack war ein Prinz. Jede Erwähnung von Jack the Ripper wird unweigerlich mit der Frage quittiert: »War der nicht ein Mitglied der königlichen Familie?« Der fragliche Königsspross war Prinz Albert Victor, ein Enkel von Queen Victoria und direkter Anwärter auf den Thron, der sich angeblich bei einer Liebelei mit einer Prostituierten mit Syphilis angesteckt hatte. Sein darauffolgender Amoklauf wurde von den Strafverfolgungsbehörden (die möglicherweise freimaurerische Verbindungen hatten) vertuscht, um die Queen vor einem Skandal zu bewahren. Das ist eine reizende Theorie, aber der Aufenthaltsort des Prinzen an jedem beliebigen Datum ist dokumentiert, und leider befand er sich nicht einmal in der Nähe von Whitechapel, als die Morde geschahen. Wir finden alle großen Gefallen an königlichen Konspirationen, doch diese hier haut einfach nicht hin.
2. Jack war ein Chirurg, der menschliche Organe sammelte. Annie Chapman und Catharine Eddowes waren teilweise ausgeweidet worden; beiden fehlten angeblich Organe. Hierdurch entstand die Theorie, der Ripper selbst habe besagte Organe an sich genommen und müsse eine medizinische Ausbildung absolviert haben, um sie finden und entfernen zu können. Genauso denkbar ist jedoch, dass die Organe einige Zeit nach dem Tod der Opfer von skrupellosen Bediensteten des Leichenschauhauses entwendet wurden, denen der Wert solcher Körperteile auf dem Schwarzmarkt bekannt war. Es könnte durchaus sein, dass Jack bestenfalls über sehr banale
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