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Dunkle Materie

Dunkle Materie

Titel: Dunkle Materie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aner Shalev
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Woche lang zu verlassen. Ich tippte eine Antwort, aber plötzlich unterbrach die Verbindung, bevor ich auf »Senden« klicken konnte. Das Telefon klingelte. Ich rannte zum Telefon, obwohl es in New York noch Nacht war. Es war meine Mutter. Sie kicherte wie ein Mädchen. Ich fragte sie, ob sie heiraten würde.

3
    Er drehte sich um, betrachtete wieder den Bildschirm mit der Liste der letzten Landungen, obwohl ihr Flug schon vor einigen Minuten verschwunden war, hoffte, er würde wie durch ein Wunder wieder auf dem Bildschirm erscheinen, als hätte der Bildschirm in den Minuten, in denen er ihm die kalte Schulter gezeigt hatte, die Botschaft verstanden und würde ihn jetzt für den vorherigen Ärger entschädigen. Aber nein, nichts hatte sich geändert, es erschien zwar ein zusätzlicher Flug auf der Liste, aber keine Spur von Evas Flug, und die Tatsache, dass ihr Flug von dem widerspenstigen Bildschirm verschwunden war, war die endgültige Bestätigung seiner Befürchtungen, es war der letzte Nagel am Sarg dieser embryonalen Woche, die gestorben war, bevor sie zur Welt kam, und er fragte sich, was er tun sollte. Vielleicht sollte er wirklich nach Washington fahren, dort würde er zumindest weniger an Eva denken und weniger unter der überflüssigen Lüge leiden, und dann fragte er sich, was passiert, wenn ein Mensch lügt und seine Lüge sich bewahrheitet. Ist es immer noch eine Lüge, wenn man unabsichtlich die Wahrheit gesagt hat?
    Adam? Bist du’s? Sie tauchte hinter ihm auf, klopfte ihm leicht auf die Schulter, wie man an eine Tür klopft, wenn man nicht sicher ist, ob es die richtige Tür ist. Er hatte nicht gesehen, aus welcher Richtung sie gekommen war, und auch sie hatte nicht gesehen, wie er sich auf das Geländer stützte, aber es war ihre Stimme, zweifellos, eine Stimme, in der eine spielerische, genießerische Süße lag, vermischt mit einem anmutigen Zögern,und noch bevor er sich zu ihr umgedreht hatte, spürte er bereits, wie ihr Duft ihn umhüllte, er befand sich in der Wolke ihres Dufts, einer unnachahmlichen Mischung aus Parfüm und ihrem Körpergeruch, bei dem ihm jedes Mal schwindlig wurde. In der nächsten Sekunde umarmten sie sich, sie drückte ihren Kopf in die Vertiefung an seinem Hals, sie blieben vielleicht eine ganze Minute lang so stehen, ohne ein Wort hervorzubringen, und er sagte, ich habe mir schon Sorgen gemacht, und sie sagte, es tut mir leid, die Einwanderungsbehörde hat mich ausgefragt, ich weiß nicht, warum gerade mich.
    Er betrachtete ihr schwarzes Kleid, betrachtete ihren weißen Schwanenhals, ihre grauen Augen, die weißen Brüste, die sich gegen den dünnen Stoff drückten, die hellen Haare, die in Kaskaden über den Rücken bis zur Hüfte fielen, und plötzlich kam sie ihm wie eine Gestalt aus dem neunzehnten Jahrhundert vor, nur versehentlich hierhergeraten, und wenn das so war, war es doch nicht verwunderlich, dass man sie bei der Einwanderungsbehörde verhört hatte, und er deutete auf ihr Kleid und sagte, ist das neu? Und sie sagte, nein, aber ich habe es jahrelang nicht mehr angehabt, ich habe dir doch geschrieben, dass ich in New York eine Modenschau mache, nicht wahr? Und er fragte, warum hat man dich bei der Einwanderungsbehörde ausgefragt? Und sie sagte, vielleicht weil ich Russin bin, es ist nicht so leicht, Russin zu sein, das weißt du.
    Sie haben mich gefragt, wo in New York ich wohne und wovon ich leben werde, als wäre ich nicht bloß für eine Woche gekommen, sondern für mindestens fünf Jahre, und dann wollten sie das Ticket für den Rückflug nach Israel sehen und die Adresse des Hotels in New York, was für ein Glück, dass du sie mir gegeben hast. Aber auch das hat ihnen noch nicht gereicht, sie haben mich gefragt, ob ich in Israel eine Arbeit habe, das ist doch nett von ihnen, dass sie sich solche Sorgen um mich machen, nicht wahr? Als ich sagte, ich sei Doktorandin für Astrophysik ander hebräischen Universität, schauten sie mich an, als wäre ich vom Mond gefallen. Und das ist noch nicht das Ende der Geschichte, nachdem sie mit mir fertig waren, nahmen sie sich meinen Koffer vor und fragten, Lebensmittel? Lebensmittel? Und sie deuteten auf ihren Mund und machten Kaubewegungen, als würde ich kein Wort Englisch verstehen, und danach, als sie den Koffer aufmachten und alles auf den Tisch räumten und die

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