Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Materie

Dunkle Materie

Titel: Dunkle Materie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aner Shalev
Vom Netzwerk:
Einkaufszentrum im Erdgeschoss des World Trade Centers kamen, sahen sie mit ihren roten Gesichtern verdächtig aus, und er sagte ihr, es ist seltsam, mit zwei Flaschen in der Hand herumzulaufen, wir hätten sie ins Hotel bringen sollen, und sie lächelte und sagte, wenn wir ins Hotel gegangen wären, wären wir von dort nicht mehr weggekommen, und er sagte, du hast recht, aber vielleicht versuchen wir wenigstens, eine undurchsichtige Tüte zu bekommen? Es gibt hier viele Polizisten, es lohnt sich nicht, erwischt zu werden, und sie sagte, lass mich nur machen, sie verschwand und kam kurz darauf mit einer braunen Papiertüte zurück und gab sie ihm, und dann standen sie in der Warteschlange und kauften Eintrittskarten für den schnellen Aufzug und betraten ihn mit einer Gruppe Japaner, die alle mit kleinen Videokameras ausgestattet waren, und als der Aufzug auf seinem Weg zum 110. Stock immer schneller wurde, spürte er, wie sich plötzlich etwas in ihm öffnete, vielleicht in den Ohren, vielleicht in der Nase, vermutlich weil der Druck nachließ, eine andauernde Blockade löste sich spürbar, wie beim Abflug eines Flugzeugs.

8
    An den Tagen danach, auch Monate und Jahre danach, wenn New York nicht mehr das gleiche New York sein würde, wenn an Stelle der Twin Towers ein Krater in der Erde sein würde, wenn neben Evas Wohnung in Gilo eine graue Betonmauer sein, aber Eva dort nicht mehr wohnen würde, wenn die Welt aus der Bahn geraten sein würde, durchgedreht, wenn nur sein eigenes Leben seinen normalen Gang gehen würde, würde er diese Minuten auf dem Dach der Twin Towers als Zenit betrachten, als einen Moment, in dem noch nichts entschieden war, an dem noch alles in jede Richtung offen war, alles möglich, ein nackter Moment, so wie das Dach der Twin Towers, von dem aus man in alle Himmelsrichtungen sehen konnte und nichts höher war, selbst das Empire State Building nicht, denn meist bewegen wir uns mittels der Kraft der Trägheit fort, sehen nur eine kleine Spanne weit, und wie selten sind die Momente, in denen sich das Leben plötzlich erweitert und nach allen Richtungen hin öffnet.
    Den Schnee, der damals fiel, nur da, zu keiner anderen Minute während dieser Woche, empfanden sie als Wunder, als Gnade, als Reinigung von Sünden, als Gebet für den Weg, und nun blieb ihnen nur noch zu sehen, ob es ein gesegneter Weg war und wohin er sie führen würde.
    Es war Freitag, zwei Uhr nachmittags, sie betrachteten die Stadt, die sich hilflos unter ihnen erstreckte, und blickten zum Himmel, der von weißen Flecken gesprenkelt war, die anfangsdünn waren und später dicker und dichter wurden und hinunterfielen, bis der Boden unter ihnen seine Farbe änderte und fast verschwand, auch die Japaner verschwanden und mit ihnen die winzigen Videokameras, und die Wodkaflasche, die sie aus der braunen Papiertüte herausnahmen, wurde langsam weiß, sie standen eng zusammen, drückten sich an das gefrorene Geländer, reichten einander die Flasche, versuchten Schneeflocken zu fangen, und sie sagte zu ihm, Adam, du bist ein Zauberer, wie hast du das gemacht, wie hast du diesen Schnee gerade jetzt hergebracht? Und Adam sagte, nein, du bist die Zauberin.
    Sie gingen zurück zum Aufzug, schüttelten die Schneeflocken ab und bliesen sich gegenseitig heißen Atem ins Gesicht, sie stopfte die halbleere Absolut-Flasche zurück in die braune Papiertüte, nahm die andere Flasche heraus und sagte, jetzt haben wir uns einen Smirnoff verdient, glaubst du nicht? Dieses Mal waren sie allein im Aufzug, und sie tranken den Smirnoff und er sagte, du hast recht, er schmeckt besser, und als sie den südlichen Turm verließen und sich auf dem Vorplatz befanden, begann sie im Zickzack zu laufen und er rannte ihr hinterher und am Schluss packte er sie und sagte, ich werde dir nie erlauben wegzugehen, beide atmeten schwer, und sie sagte, was hältst du davon, wenn wir zu Fuß nach Hause gehen? Dass sie dieses Wort sagte, nach Hause, berührte ihn sehr, und er sagte sich, dass er sie nicht enttäuschen dürfe, was auch immer geschah, er dürfe sie nicht enttäuschen, und dann fiel ihm ein, dass das Hotelzimmer vielleicht tatsächlich eine Art Zuhause war, immerhin befanden sich dort schon Lebensmittel, und auch wenn sie dort noch nicht gegessen hatten, würden sie das noch tun, vielleicht sogar schon heute. Sie gingen über die Church Street

Weitere Kostenlose Bücher