Dunkle Reise
Sie hören selten damit auf. Woran dachten Sie?«
Es blieb mir nichts übrig als zu lügen. »An das Reisen. Sie müssen es gewohnt sein, aber für mich ist es keine alltägliche Erfahrung.«
»Aber Sie sagten, Sie seien nicht in der Gegend von Tenabra geboren. Also müssen Sie gereist sein, um hinzukommen.«
»Richtig. Aber das war als Trommler in einem Regiment Pikeniere. Die Armee ist ein wenig wie eine Heimat, die mit einem zieht. Es ist, als ob sich nichts veränderte, ganz gleich, wo man ist.«
Sie lächelte. »Die Jahrmärkte sind auch ein wenig so. Einer ähnelt sehr dem anderen.«
Ich sah ihr ins Gesicht. »Und sie waren gefährlich, sagten Sie. Weshalb?«
»Nun, überlegen Sie. Wir wollten vermeiden, dass jemand auf den Gedanken kommen könnte, wir wirkten tatsächlich Magie.« Sie erschauerte. »Das Volk mag keine Leute mit dieser Kraft. Es verabscheut das Dunkel. Meister Grames nahm mir das Versprechen ab, nicht davon zu reden. Die Leute mögen das Dunkel nicht, für sie ist es gleichbedeutend mit Zauberei.« Sie lächelte. »Aber nun wird er die Kraft mit Fürst Nathans Billigung an die Öffentlichkeit bringen. Er hat mich bisher immer beschützt. Ich verdanke ihm alles.«
Sie beschützt? Wovor?
Dann fiel mir ein, was Grames beim Abendessen im Gasthaus gesagt hatte: dass die Wahrheit wie eine gefährliche Arznei sei, die in kleinen Dosen verabreicht werden müsse. Plötzlich ging mir ein Licht auf, und ich begriff, was Grames ihr gesagt hatte.
»Aber das Volk weiß längst, dass das Talent und das Dunkel nicht das Gleiche sind«, sagte ich mit so viel Nachdruck wie ich konnte, ohne die Stimme zu erheben. Wenn Grames es hörte, würde er gerannt kommen. »Ganz gleich, was Grames Ihnen gesagt hat, das Talent – die Kraft – ist einfach da. Es ist ein Werkzeug. Es kann für das Dunkel benutzt werden, aber nur wenn der Besitzer des Talents es auch will.«
Sie schüttelte den Kopf.
Ich sah, dass ich sie überzeugen musste. »Es ist wahr. Silvus brachte es mir bei. Auch Grames weiß es. Er ist derjenige, der versucht, das Talent als ein Werkzeug einzusetzen. Sie als ein Werkzeug zu gebrauchen. Sehen Sie, ich weiß, was die Kraft ist. Man kann sie nicht um ihrer selbst willen hassen, genauso wenig wie man den Wind hassen kann.«
Sie schüttelte noch immer den Kopf.
»Sie sind anders«, sagte sie hartnäckig. »Sie kennen Ser de Castro seit langem und Sie fürchten sich vor nichts. Aber die meisten Leute…« Sie brach ab.
»Es gibt vieles, was ich fürchte«, erwiderte ich. »Fürst Nathan und Meister Grames, zum Beispiel. Aber was ist mit den meisten Leuten?«
»Sie hassen das Dunkel und fürchten es. Nun, sie haben Recht.« Sie sah unglücklich aus; die Traurigkeit im Kern ihres Wesens lag offen zutage. »Es ist etwas Schreckliches.«
»Und Sie meinen, sie würden Sie hassen? Fürchten? Sie glauben, die Leute würden Sie verabscheuen, wenn sie es wüssten?« Ihr Gesicht sagte alles. »Hat Grames Ihnen das erzählt?« Ich konnte mir nicht helfen, beinahe hätte ich laut herausgelacht. »Und ich wette, er sagte noch mehr. Dass es gefährlich sei zu irgendwem davon zu sprechen. Dass Sie nur ihm trauen dürften, aber dass er Sie beschützen und vor allem Unheil bewahren würde.« Sie sah mich an, und ihre Miene bestätigte es.
Der schlaue Meister Grames. Die besten Lügen enthalten Teilwahrheiten und können nur anhand von ihnen aufgedeckt werden.
Sie starrte hinaus auf den Fluss, ohne ihn zu sehen. »Ich musste vor mir selbst geschützt werden«, sagte sie, als ob sie eine Lektion aufsagte. »Ich war ein Waisenkind, das vom Bruder meiner Mutter und seiner Frau aus Pflichtgefühl aufgenommen wurde. Sie gaben mir Essen und Kleidung und ein Dach über dem Kopf, aber nicht mehr. Als Meister Grames mich fand, sprach ich bereits mit Kobolden. Noch ein paar Jahre, und ich wäre…« Sie schüttelte den Kopf und ihre Worte erstarben zu einem Gemurmel, aus dem ich nur ›Dunkel‹ und ›Zauberei‹ heraushören konnte.
»Das bezweifle ich«, entgegnete ich. »Und was ist Schlimmes daran, mit Kobolden zu sprechen? Ich bin ihr Gast gewesen und habe ihr Brot gegessen.« Sie blickte erschrocken auf. Es war die Wahrheit, obwohl es auch die Wahrheit war, dass ich sie im Kampf getötet hatte. Das gereichte mir zu Trauer und Bedauern, denn weder sie noch ich waren freiwillige Teilnehmer am Kampf gewesen. »Ich weiß, dass sie so wenig Geschöpfe des Dunkels sind wie wir. Es ist einfach so, dass sie im
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