Dunkle Reise
Grames selbst? Oder Arienne?«
Silvus nickte. »Aber um wieder zur Sache zu kommen, was ängstigt sie?«
»Etwas in der Vorstellung, denke ich. Sie mussten vorsichtig sein, sagte sie.«
»Weswegen vorsichtig?«
»Ich weiß es nicht. Dass bei den Zauberkunststücken etwas schiefgeht? Dass jemand sehen könnte, was Grames im Ärmel hatte?«
Draußen knarrte Leder, und Barras kam in die Gaststube. Er hob den Weinkrug auf und schaute hinein; seit er gegangen war, hatten wir nichts mehr getrunken. Seine Augenbrauen hoben sich.
»Wenn ihr fertig seid, sollten wir uns vielleicht in die Falle hauen. Morgen müssen wir in aller Frühe aus den Federn.« Er schenkte sich einen Becher voll und trank ihn in einem Zug aus.
»Meister Grames muss es furchtbar eilig haben«, murrte Silvus. Seine Schultern schienen eingezogen und geschrumpft, sein Rücken krumm.
»Fürst Nathan ist derjenige, der es eilig hat«, erwiderte Barras. Ich konnte ihm nur zustimmen. Er blieb stehen und wartete, bis Silvus langsam aufstand und zur Tür ging. Ich folgte ihm.
Am Kopf der Treppe und im oberen Korridor standen Wachen, neue. Barras musste von der Garnison Ablösungen angefordert haben. Großartig. Seine eigenen Leute konnten einen ungestörten Nachtschlaf genießen. Und ich konnte zu Silvus nichts mehr sagen, solange er zuhörte. Also würde ich die Antwort auf meine Frage selbst finden müssen.
Wir hatten hier getrennte Zimmer. Während ich lag und darauf wartete, dass das kalte Bett sich erwärmte, dachte ich darüber nach, doch mit wenig Erfolg. Nach einer Weile schlief ich ein. Grames erschien in meinen Träumen und erzählte mir, dass die Sonne nie wieder aufginge. Was mich dabei störte, war, dass ich ihm glaubte. Und Arienne auch.
Der Traum-Grames irrte sich. Die Sonne ging zwischen Wolken auf, und auf dem FIuss lag feiner Nebel, der sich zu heben begann. Ich weiß es, denn ich war schon zur Stelle, um den ersten Lichtstrahl zu sehen, der über den Horizont lugte – sogar die erste schwache Helligkeit am Osthimmel hatte ich beobachtet. Wie wir alle.
Am Kai wurden wir nicht angerempelt, sondern hatten eine kleine Lichtung für uns. Lastenträger drängten sich, stießen Schubkarren vorwärts und Ellbogen nach beiden Seiten, riefen und zogen an Tauen, strömten um uns und die bewaffneten Gardisten, die uns umstanden. Wir Standespersonen warteten, bis unsere Barke anlegte, dann gingen wir nach der Rangfolge würdevoll an Bord.
Dies war ein kleineres Boot und nicht für Passagiere eingerichtet. Immerhin war es ganz eingedeckt, sodass wir nicht dem Regen ausgesetzt sein würden, und der Laderaum war eilig mit Planken, Bänken und einem aufgehängten Tisch ausgestattet worden. Auch waren Hängematten angebracht, und ein kleinerer Teil des Raumes war für Arienne mit einem Vorhang abgeteilt. Aber es gab keine Bullaugen und kein Licht außer dem, das durch die Luke des Niedergangs drang, wenn sie geöffnet war. Der Raum roch nach Wolle und Teer. Ich war dankbar, dass er nicht schlechter roch.
Wir verstauten unsere Habseligkeiten, so gut es ging. Kaum waren wir damit fertig, ertönte vom Deck über uns das Getrampel und Gepolter schwerer Tritte. Barras steckte den Kopf zur Luke hinaus.
»Bloß ein Trupp Hafenarbeiter mit Stangen, um uns gegen die Strömung hinauszustaken«, berichtete er. Nach dem Getrampel zu urteilen, mussten es viele sein. Grames hatte es offenbar eilig. Nun, wann hatte er es nicht eilig gehabt?
Wir vernahmen Stiefelscharren, dann einen Ruf:
»Ho!« Und aus rauen Männerkehlen tönte ein rhythmischer Singsang:
»Mein alter Vater (ho!),
der sagte immer (ho!):
nicht am Fluss, Junge (ho!),
da wohnt der Wargel (ho!),
der schnappt dich beim Spiel (ho!),
zieht dich ins Wasser (ho!)
und schluckt dich runter (ho!),
der Wargel.«
Von den Stangen der Arbeiter gestakt, glitt die Barke leise schwankend vom Kai zur Flussmitte hinaus, vorbei an den hölzernen Anlegestegen. Der Gesang der Arbeiter war eintönig und traurig wie eine Totenklage. Ich blickte hinüber zu Silvus und hoffte, dass der Wargel mich nicht am Fluss schnappte. Ho.
Aber wie beim letzten Mal brachten sie uns nur aus dem Bereich des Flusshafens mit seinen Landungsstegen zum oberen Treidelpfad, wo bereits ein Gespann Zugpferde wartete. Ich hörte, wie das Schleppseil festgemacht wurde, dann trampelte die Mannschaft wieder über das Deck zur Laufplanke und an Land. Münzen klimperten. Dieses Unternehmen musste den Fürsten eine Menge Geld kosten, und
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