Dunkle Seelen
Mundwinkel sagte. »Auf tönernen Füßen, Cassie.«
»Ha, ha«, flüsterte sie sarkastisch zurück.
»Weißt du, wie sich mein Ton anfühlt?«, zischte Isabella und betrachtete ihr Werk neben Cassie. »Er fühlt sich an, als würde er am liebsten unter den Tisch kriechen und sterben. Sieh dir dieses Ding an. Es ist schrecklich!«
Und es war wirklich unleugbar furchtbar. Cassie zuckte die Achseln.
»Ich weiß nicht«, antwortete sie. »Ich dachte, du arbeitest vielleicht an einer Rodin-Persiflage!« Sie begann zu lachen, aber das Gelächter erstarb ihr auf den Lippen. Es war, als habe man einen schwarzen Schleier über sie geworfen und sie vom Rest der Klasse abgetrennt. Wie aus heiterem Himmel verschwand Cassies unbeschwerte Stimmung.
Das Gefühl in ihrer Brust war dunkel und intensiv und ... sehnsüchtig. Irgendetwas rief nach ihr, zog an ihr wie ein Magnet. Cassie hob den Kopf und drehte sich um, obwohl sie genau wusste, was sie sehen würde.
Ranjit.
Elektrisierendes Verlangen schoss ihr durch den Körper und sie musste einen unwillkürlichen Schauder der Erregung unterdrücken. Woher war er gekommen? Wie lange war er schon da? Zu Beginn des Kurses hatte sie ihn nicht bemerkt, und bevor das Trimester begonnen hatte, hatte sie ihn nicht mal in der Akademie gesehen. Nicht dass sie nach ihm gesucht hätte, natürlich nicht. Cassie war davon ausgegangen, dass er irgendwo mit etwas Dunklem und Mysteriösen beschäftigt war und Sir Alric Darks Befehle ausführte — gewöhnlich schien das ja seine Aufgabe an dieser Schule zu sein.
Aber jetzt war er hier, hochgewachsen und schön. Seine bernsteinfarbenen Augen bohrten sich in ihre Seele und sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Er nickte ihr ein einziges Mal zögernd zu. Seine Miene war schwer zu deuten. In ihr lagen Hoffnung und Sehnsucht und Furcht, allesamt vermischt in einem verzweifelten, stummen Schrei. Es war ein Schrei, der eine Antwort aus der Tiefe ihres Wesens hervorholte:
Nein! Nein! Er hat uns zurückgewiesen, Cassandra! Es spielt keine Rolle, ob wir ihn wollen. Wir sind ohne ihn stark. Stark genug. Nur wir beide, zusammen!
Cassie schluckte und zwang sich, ihren Blick von ihm loszureißen und sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Sie brauchte Estelle nicht als Cheerleaderin. Natürlich war sie stark genug. Es war nicht mehr als eine unbedeutende Vernarrtheit. Nur deswegen knisterten ihre Nervenenden bei seinem Anblick immer noch und etwas hämmerte gegen ihren Brustkorb ...
Ja, meine Liebe! Stark genug. Wir sind besser als er! Du und ich! ZUSAMMEN!
»Um Gottes willen!«, zischte sie laut. Als überraschte Gesichter sich zu ihr umdrehten, murmelte sie errötend: »Ich krieg das nicht hin.«
»Ich kenne das Gefühl«, murmelte Isabella ungehalten und stach mit dem Zeigefinger in den Haufen, der ihre Skulptur sein sollte. Dann schaute sie auf und folgte Cassies Blick, als diese abermals zu dem wohlgeformten Gesicht hinter ihr blickte. Isabellas Züge verdunkelten sich. Sie berührte Cassie am Arm und beschmierte sie mit feuchtem Ton. »Cassie, ist alles in Ordnung?«, fragte sie mit gesenkter Stimme.
Cassie blinzelte. War sie so durchschaubar? »Es geht mir gut.Wirklich gut.«
»Bist du dir sicher?«
»Ja! Hör auf. Es geht mir gut«, erwiderte Cassie und sprach dabei lauter, als sie beabsichtigt hatte. Sie wurde rot, als weitere Schüler sich nach ihr umdrehten und sie Isabellas gekränkte Miene sah.
»Hör mal, es tut mir leid, Isabella«, flüsterte sie. »Ich bin nur - du hast recht, es ist ein wenig komisch. Lass uns später darüber reden, ja?«
Isabella nickte und wandte sich mit einem Seufzer wie der ihrem Ton zu. Als Cassie abermals einen Blick auf sich spürte, schaute sie zu Richard hinüber. Er wirkte sehr ernst, bis sie ihm in die Augen sah. Dann zwinkerte er und lächelte voller Stolz auf seine Kreation hinab.
Cassie folgte seinem Blick, und einen Moment später schlug sie sich die Hände vor den Mund, um nicht laut heraus zu lachen. Mit knapper Not gelang es ihr, ihr Gelächter als Hustenanfall zu tarnen, und Signor Poldino kam herbeigeeilt, um ihr auf den Rücken zu klopfen und sich davon zu überzeugen, dass seine Lieblingsschülerin nicht im Begriff stand, das Zeitliche zu segnen. Während er um sie herumwuselte, drehte Cassie sich mit einem tödlichen Ausdruck auf dem Gesicht wieder zu Richard um. Seine Augen waren groß und unschuldig und er breitete fragend die Hände über seiner vielsagenden Skulptur
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