Dunkle Seelen
konnte, dachte sie voller Bitterkeit.
»So viel war ich dir schuldig, stimmt’s?«, fragte er kläglich.
Sie lachte trocken. »Ja. Ich schätze, schon.«
Er berührte sie ganz sachte am Arm, dann ließ er die Hand sinken. »Und hör mal, Cassie, ich weiß, ich war im letzten Trimester eine Nervensäge, weil ich dich ständig gebeten habe, mir zu verzeihen. Aber ich verspreche, dass ich dir das Leben nicht länger schwer machen werde. Okay? Jetzt werde ich dich in Ruhe lassen. Ehrenwort.«
»Richard, das ist nicht...«
»Ja, ich weiß. Mein Ehrenwort ist nicht allzu viel wert.«
Nicht das, was ich sagen wollte, dachte sie und lächelte mit einem Anflug von Bedauern. Aber er grinste bereits und ging mit weit ausholenden Schritten auf das Boot zu, von dessen Bug Isabella ihnen zuwinkte.
Minderwertig, warf Estelle ein. Minderwertiges Material, meine Liebe. Er wird uns nicht weiterbringen.
Cassie ignorierte sie und sprang hinter Richard aufs Boot. Als er den jungen Bootsmann lässig in ein Gespräch über irgendein langweiliges Fußballspiel verwickelte, ging Cassie zu Isabella. »Mein Gott, Cassie, habe ich über reagiert? Ich muss einfach aufhören, an ihn zu denken«, erklärte Isabella grimmig. Sie hielt ihren Blick auf den Horizont gerichtet und die Meeresbrise zerzauste ihr mahagonifarbenes Haar.
Cassie zögerte. »Hm, ja, ich denke, da könntest du recht haben. Obwohl ich dich verstehe, Süße. Ich verstehe dich wirklich.«
Für einen Moment schwieg Isabella, dann fuhr sie fort: »Und für dich gilt das Gleiche, weißt du?«
»Hm?«
»Vielleicht irre ich mich ja, Cassie. Aber denkst du nicht irgendwo, tief im Innern, immer noch an Ranjit?« Isabella betrachtete sie voller Sorge.
»Nein.«
Als Isabella eine Augenbraue hochzog, wurde Cassie rot.
»Na gut. Ich hoffe für dich, dass du es nicht tust. Im Ernst«, sagte Isabella, fädelte ihre Finger zwischen die von Cassie und drückte sie. »Denn das wäre ja noch schöner, nicht wahr? In einer der aufregendsten Städte der Welt zu sein und uns beide nach zwei Losern zu verzehren, die uns nicht einmal verdient haben. Nein. Ich sage dir was, Cassie, ich verspreche, dass ich versuchen werde, diese Geschichte hinter mir zu lassen. Ich werde so sein wie du. Single und zu allen Schamtaten bereit.«
Cassie brach in Gelächter aus. »Schandtaten.«
Isabella zwinkerte ihr zu. »Absichtlicher Fehler.«
»Wohl eher ein freudscher Versprecher!« Cassie stimmte in das Gekicher ihrer Mitbewohnerin ein. »Loser, die uns nicht verdient haben, hm? Also hat Richard Eindruck auf dich gemacht!«
»Ich denke, er macht auch auf dich Eindruck.« Isabella versetzte Cassie einen ihrer tödlichen Rippenstöße.
Cassie schnappte nach Luft und lachte. »Das wäre ja noch schöner!«
»Ganz wie du meinst, Cassie Bell. Trotzdem, vielleicht solltest du ihn lassen ...« Arrogant wandte Isabella sich ab, aber ein kleines Grinsen umspielte ihre Lippen.
Stirnrunzelnd betrachtete Cassie die näher kommende Insel. Sie hatte nicht an Richard gedacht, und sie war sich verdammt sicher, dass sie nicht an Ranjit gedacht hatte. Höchstens, um sauer auf ihn zu sein, nein, wütend. Davon abgesehen konnte sie es nicht ertragen, an ihn zu denken. Sie durfte nicht an ihn denken. Sie wurde mit dem Gedanken an seinen Verrat und seine Feigheit nicht fertig; nicht gerade jetzt.
Ein leises Kichern unterbrach ihre Gedanken.
Es ist alles in Ordnung, meine Liebe. Ich werde für uns beide sorgen!
KAPITEL 3
Entwickeln Sie ein Gefühl für das Material, meine Damen und Herren! Fühlen Sie, was der Ton werden will!«
Angesichts des wundervollen Frühsommers wippte Signor Poldino aufgeregt auf den Fersen. Ging dem Mann jemals die Energie aus?, fragte sich Cassie. Die üppigen Gärten draußen vor dem geöffneten Fenster des eleganten Raums verliehen dem hereinfallenden Licht einen grünlichen Ton. Hier und da konnte man einen Blick auf den leuchtend blauen Himmel werfen. Wenn sie schon in einem Klassenzimmer sein musste, konnte sie sich über dieses hier nicht beschweren.
Hinter ihr wurde hinter vorgehaltener Hand gekichert. Der Bildhauerkurs konnte seine kollektive Erheiterung über das, woran Richard arbeitete, nicht verbergen. Doch der Kunstlehrer schien es nicht zu bemerken. Cassie riss sich zusammen, um sich nicht umzudrehen und Richards Blick zu begegnen. Rechts von ihr formte Cormac emsig ein unproportioniertes Paar Beine. Er schien seine Arbeit ungewöhnlich ernst zu nehmen, bis er aus dem
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