Dunkle Verlockung (German Edition)
Ein anderes Rudel könnte dadurch auf den Gedanken verfallen, wir hätten kein Recht auf das Revier.«
»Was zu Blutvergießen führen würde«, sagte sie in ernstem Ton. »Die SnowDancer-Wölfe?«
»Sind gefährlich«, bestätigte er. »Doch sie haben schon ein recht großes Territorium. Unseren Informationen nach verfügen sie nicht über genügend Leute, um uns zu vertreiben.«
»Doch sie sind nicht die Einzigen, nicht wahr?« Ria schob die Hände in die Taschen des leuchtend roten Mantels und wies mit dem Kopf nach links. »In dieser Gasse hat er mich gepackt. Auf meinem Nachhauseweg von der Abendschule. Es war die Abschlussstunde.«
»Warum waren Sie allein?«, fragte er mit einem leichten Knurren in der Stimme. »Es war doch schon dunkel.«
»Gerade erst acht Uhr.« Wieder stieg Ärger in ihr hoch – Emmett zeigte schon ähnlich überbehütende Tendenzen wie ihre Eltern. »Und ich bin erwachsen, falls Sie das noch nicht bemerkt haben.«
Ein überraschtes Blinzeln. »Das habe ich sehr wohl bemerkt.«
3
Hitze breitete sich von ihrem Magen in sämtliche Glieder aus, gleich würde sie einen roten Kopf bekommen. »Dann lassen Sie das gönnerhafte Getue.« Sie nahm ihren Mut zusammen und sah in diese unglaublich faszinierenden Augen. »Außerdem war ich nicht unvorsichtig. Eine Menge Leute waren um diese Zeit noch unterwegs zu den Restaurants oder kehrten gerade von der Arbeit nach Hause zurück. Dieser menschliche Abschaum hat sich auf mich gestürzt, als gerade zufällig niemand in der Nähe war.«
»Er muss Ihnen also gefolgt sein und eine günstige Gelegenheit abgewartet haben.« Emmett starrte mit zusammengekniffenen Augen in die dunkle Gasse.
Hatte er nicht gehört, was sie gesagt hatte? »Das habe ich mir auch gedacht. Ich bin immer vorsichtig, wenn ich aus der Luftbahn steige, aber in dem Gewühl auf dem Bahnhof ist es schwer, so etwas wahrzunehmen.« Gestern Abend waren eine Menge Leute herausgeströmt, sobald die Bahn auf dem Boden aufgesetzt hatte, doch da genügend Leute denselben Weg wie sie gegangen waren, hatte sie nicht besonders darauf geachtet, ob jemand auffälliges Interesse an ihr zeigte.
»Solange wir die Rotte noch nicht ausgeschaltet haben«, murmelte Emmett, der immer noch die Gasse mit seinem Blick erforschte, »gehen Sie nirgends mehr alleine hin.«
Ihr blieb der Mund offen stehen. »Wie bitte?«
»Bis zum Tod«, sagte er und sah sie nun eindringlich an. »Das ist der Wahlspruch der Rotte. Sie folgen ihrem Opfer bis zum Tod. Die Typen werden Ihnen also wieder und wieder auflauern. Das ist eine Frage der ›Ganovenehre‹.« Er spuckte das Wort fast auf die Straße. »Eine Scheißehre ist das, wenn man einer Frau dafür wehtut.«
Die unerschütterliche Überzeugung hinter diesen Worten traf sie tief. »Aber ich kann doch nicht nur zu Hause rumsitzen. Zum einen muss ich Bewerbungsgespräche führen.« Denn eine Arbeitsstelle war der Fahrschein zur Freiheit, dafür hatte sie lange hart gearbeitet. »Und dann muss ich meine Großmutter zu ihren Terminen begleiten.«
»Wer hat denn gesagt, dass Sie zu Hause sitzen sollen?« Ein Blick, der ihr durch und durch ging.
Mit Druck kam Ria gar nicht gut klar. »Also wenn ich nirgends alleine hindarf – und meine Großmutter werde ich auf keinen Fall in Gefahr bringen –, was soll ich denn dann machen? Einen Bodyguard anheuern?« Sobald ihr Vater davon hören würde, hätte er eine willkommene Entschuldigung, ihr die Suche nach einer Arbeit rigoros zu verbieten.
Simon und Alex Wembley liebten ihre einzige Tochter. Sie liebten sie so sehr, dass sie es nicht ertragen konnten, wenn die Welt ihr nur eine einzige Schramme auf der Seele zufügen würde. Das hatte zur Folge, dass Ria vor allem beschützt und in Watte gepackt aufgewachsen war. Wenn ihre Großmutter nicht gewesen wäre, wäre aus ihr vielleicht ein verwöhntes Gör geworden. Aber so war sie damit aufgewachsen, die Liebe ihrer Eltern zu schätzen … weil sie die Traurigkeit begriff, die dahintersteckte. Deshalb war sie nicht wie Ken aufs College gegangen – sie hatte ihren Eltern eine solche Sorge nicht zumuten wollen. Aber sie konnte nicht ewig in einem Kokon leben, nicht einmal ihrer Mutter und ihrem Vater zuliebe. Das war nichts für sie – es würde sie auf Dauer zerstören.
Doch ihre Eltern hatten das noch nicht begriffen. Für Simon und Alex bot die Heirat mit Tom den ultimativen Schutz: Als Frau eines Mitglieds des Clark-Clans würde sie nichts anderes tun müssen
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