Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz
konzentrieren konnte. Er wollte sich gerade eine seiner zahllosen Zigaretten anzünden, doch dann ließ er sie mitsamt den Streichhölzern auf die Schreibtischplatte fallen. Er würde sie erst nach dem Mittagessen rauchen. Es war fast eins. Casini nahm den Telefonhörer ab und wählte die Nummer von Diotivedes Labor.
»Ich wette mal, du hältst gerade eine Leber in der Hand«, sagte er, sobald er hörte, dass jemand den Hörer abnahm.
»Mit wem spreche ich?«, fragte eine junge Männerstimme.
»Verzeihen Sie, ich habe mich wohl verwählt.«
»Wen wollten Sie sprechen?«
»Die Gerichtsmedizin …«
»Bitte … wen wollen Sie sprechen?«
»Dottore Diotivede.«
»Warten Sie, ich frage, ob der Professore ans Telefon kommen kann«, sagte der junge Mann. Casini blieb der Mund offen stehen. Er hörte durch den Hörer, wie sich Schritte entfernten und nach langem Schweigen wieder näher kamen.
»Ja?« Diesmal war es Diotivede.
»Seit wann hast du einen Sekretär?«, fragte Casini.
»Der kostet kaum etwas, ich gebe ihm die Abfälle von der Autopsie zu essen.«
»Dann ist er wohl der glücklichste Mensch auf der Welt.«
»Ich hoffe, das ist nicht wieder einer deiner überflüssigen Anrufe.« Der Arzt seufzte.
»Ich wollte bloß wissen, ob du mit mir mittagessen möch test.«
»Fühlst du dich einsam?«
»Ein hübscher Brummer leistet mir Gesellschaft, aber der redet nicht viel.«
»Ich brauche hier noch eine halbe Stunde.«
»Ich warte geduldig.«
»Na gut, bis nachher«, sagte Diotivede und legte auf. Der Kommissar stand langsam auf, verabschiedete sich von dem Brummer und ging in den Hof hinunter. Es begann zu regnen. Als er mit seinem Käfer hinausfuhr, hob er eine Hand, um Mugnai zu grüßen, doch da sah er, dass dieser aus der Pförtnerloge herauskam und ihm winkte. Er öffnete das Seitenfenster.
»Was ist los?«
»Dottore, darf ich Sie um einen riesigen Gefallen bitten?«
»Sag schon …«
»Können Sie mir eine ›Rätselwoche‹ mitbringen?« Er legte ihm ein Hundertlirestück in die Hand.
»Mugnai, sag mir eins: Hast du schon je ein Kreuzworträtsel ganz gelöst?«
»Aber natürlich, Dottore …«, sagte Mugnai gekränkt. Casini klopfte ihm mit einer Hand auf den Bauch und fuhr los, während die Scheibenwischer auf dem Glas quietschten. Viele Autos verstopften die breiten Straßen. Am Steuer saßen vor allem Mütter, die ihre Kinder von der Schule abholten. Die Bürgersteige waren ein einziges wogendes Meer von Regenschirmen. Er hielt am Kiosk an der Piazza della Libertà an, um dort eine »La Nazione« für sich und die »Rätselwoche« für Mugnai zu kaufen.
Als er den Viale Pieraccini erreichte, regnete es in Strömen. Diesen Oktober konnte man wirklich vergessen. Casini parkte vor der Treppe, die zur Gerichtsmedizin führte, und während er wartete, blätterte er die Zeitung durch.
Schließlich sah er Diotivede unter einem großen schwarzen Schirm auftauchen. Geschmeidig wie ein junger Mann eilte er die Stufen herab und stieg in Casinis Käfer.
»Wer ist denn der junge Mann, den ich am Telefon hatte?«, fragte Casini, während er losfuhr.
»Eine Leiche, die wieder aufgewacht ist.«
»Du hättest ihn auch einladen können.«
»Ich habe ihn bei seiner Arbeit gelassen. Ein junger Mann, der gerade sein Studium abgeschlossen hat und nun die Kunst der Autopsie zu seinem Spezialgebiet erklärt hat.«
»Da wird seine Mutter aber glücklich sein.«
»Hör mit diesem Unsinn auf, das ist ein wunderbarer Beruf.« Diotivede meinte es ernst.
»Das Gleiche habe ich auch schon einen Totengräber sagen hören«, sagte Casini lachend. Der Arzt stieß einen langen, gekränkten Seufzer aus, ging aber nicht weiter auf die Bemerkung ein.
»Wo wollen wir essen?«, fragte Casini.
»Wie wäre es mit Da Armando?«
»Sehr gut.«
»Donnerstags gibt es dort Stockfisch.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass du Stockfisch so magst.«
»Ich habe vor kurzem welchen im Magen einer Leiche gefunden, und da habe ich Appetit darauf bekommen«, meinte Diotivede. »Immer noch nichts Neues über den Jungen?«, wechselte er dann das Thema.
»Immer noch nichts.«
»Diese Dreckskerle …«, zischte der Arzt durch die Zähne hindurch.
Casini war verblüfft. So etwas hatte er noch nie von ihm gehört. Es wurde still im Käfer. Draußen regnete es weiter, und auf den Straßen herrschte dichter Verkehr.
Schließlich kamen sie nach San Lorenzo. In der Trattoria Da Armando gab es nur wenige Tische, und die waren alle
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