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Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Titel: Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Vichi
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leiser reden, und Molin senkte seine Stimme. Es war niemand auf der Straße. Die einzigen Geräusche kamen von den Riegeln und den Fenstern, die sich schlossen, wenn sie vorbeikamen.
    »Für wen führen wir eigentlich diesen Krieg, Molin?«, meinte Casini niedergeschlagen. Der Mann aus dem Veneto spuckte auf den Boden und wischte sich den Mund mit der Hand ab. Er schwieg etwa eine Minute, dann zählte er unter einer Unmenge Flüchen die einzelnen Teile des Schweins auf. Jedes Stück, das er nannte, übertrug er in alle ihm bekannten Dialekte. Er war gerade bei der Haxe angekommen, als er ruckartig stehen blieb, die Augen schloss und die Luft tief in sich einsog.
    »Heiliger Duce, Comandante, riechen Sie das auch? Das ist gebratenes Fleisch, Himmel, Arsch und Zwirn! Das ist Schweinefleisch …« Casini packte ihn am Arm und wollte ihn weiterziehen, doch dieser Riesenkerl blieb einfach stur stehen wie ein Maulesel. Er atmete die Luft tief durch die Nase ein, so heftig, als sollte seine Lunge platzen, als würde so früher oder später auch das Fleisch in seinen Mund wandern. Auf einmal riss er die Augen auf und brüllte:
    »Ich schwöre Ihnen, das ist Schweinefleisch, Nazipack!« Im gleichen Augenblick bemerkte Casini etwa fünfzig Schritt vor ihnen zwei angelehnte Fensterläden, rechts und links, beide im ersten Stock. Zwischen tausend fest verrammelten Fenstern erregten diese beiden, die nur angelehnt waren, sein Misstrauen. Doch ihm blieb nicht mehr die Zeit, etwas zu sagen. Die Fensterläden sprangen auf, und ein Kugelhagel prasselte auf sie ein. Eine Salve schlug knapp oberhalb ihrer Köpfe an die Steinwand. Eine Sekunde später lag Casini schon mit dem Bauch auf dem Boden. Er feuerte eine Salve auf den rechten Fensterladen und sah, wie dessen Latten zu Kleinholz zersplitterten. Die Schüsse hörten auf. Als Casini sich zu Molin umwandte, sah er, dass der immer noch dastand und die kräftig nach Schwein riechende Luft einsog.
    »Auf den Boden!«, brüllte er ihn an.
    »Das ist Schweinefleisch, Comandante!« Aus beiden Fenstern wurde wieder gefeuert, und zwar heftiger als vorher. Kaum hörte der Beschuss auf, warf sich Casini auf Molin und riss ihn mit sich zu Boden, nur eine Sekunde bevor eine Garbe Kugeln die Brust dieses Gorillas durchschlagen konnte. Dann standen sie auf und rannten so schnell sie konnten talabwärts. Die Geschosse der Deutschen donnerten gegen den Stein der Hauswände wie Spitzhackenschläge und prallten überall ab. In der Luft blieb eine staubige Rauchwolke zurück.
    Als sie das Ende des Tals erreichten, dröhnten die Herzschläge in den Ohren, während sie von oben klare, knappe Flüche der Nazis verfolgten. Sobald sie sich im Wald in Sicherheit gebracht hatten, tastete Casini sich ab. An einer Seite tat ihm etwas weh, und er sah einen nassen Fleck auf seiner Uniform. Er strich mit dem Finger darüber und roch an ihm. Das war kein Blut. Der Nazi hatte seine Feldflasche mit Wein getroffen, und das Geschoss war nicht auf der anderen Seite herausgekommen.
    »Wenn du so was noch einmal machst, Molin, knalle ich dich höchstpersönlich ab, habe ich mich klar ausgedrückt?«
    »Das war Schwein, Comandante, wir müssen dahin zurück.«
    »Du bist hier das Schwein«, sagte Casini und gab ihm einen Klaps auf die Schulter.
    Molin hatte den Krieg überlebt, doch danach hatte Casini nichts mehr von ihm gehört. Höchstwahrscheinlich war er in sein Dorf zurückgekehrt und wieder Bauer geworden. Wer weiß, ob er sich ebenfalls noch an jenen Morgen in Torricella Peligna erinnerte, an den Duft von Schweinefleisch vom Rost, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte.
    Es war ein weiterer langer Vormittag, und zumindest in Bezug auf den Metzger gab es nichts Neues. Während der Nacht hatte es natürlich Diebstähle, Raufereien, Familienstreitigkeiten gegeben … die üblichen Vorfälle. In den Büros klapperten die Schreibmaschinen, und es wurde geraucht. Hin und wieder brauste ein Streifenwagen mit quietschenden Reifen vom Hof des Präsidiums. Piras hatte die Nacht bis zum Anbruch des Morgens Panerais Wohnung überwacht und lag jetzt in seinem Bett und schlief. Sein Bericht enthielt nur drei Worte: keine besonderen Vorkommnisse.
    Konnte es Ende Oktober wirklich noch dicke Brummer geben? Ein riesiges Exemplar flog müde von einer Seite des Zimmers zur anderen und klang dabei so angeschlagen wie ein vom Feind getroffener Doppeldecker. Casini folgte ihm mit dem Blick, glücklich, dass er sich seinetwegen nicht

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