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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jane Beaufrand
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aus der Hand. »Lass sie hier stehen, dann kannst du sie auf dem Rückweg mitnehmen.«
    Ich überlegte. Über Schnelligkeit hatte ich mir nie Gedanken gemacht, aber warum nicht? Dann hatte ich wenigstens was zu tun.
    Gerade wollte ich los, da hielt Mr Armstrong mich noch mal auf. »Fast hätte ich’s vergessen: Könntest du heute Abend für uns babysitten? Meine Frau will ins
Tiki Hut
, was trinken. Nicht lange. Nur für ein, zwei Stunden. Diese rosa Skorpion-Cocktails haben’s in sich. Ich glaube, die panschen sie mit Zucker.« Er machte eine kurze Pause. »Jedenfalls trinken wir nicht viel und meine Frau spielt kein Billard, wir sind also spätestens um elf wieder zu Hause.«
    Meine Lippen formten sich schon zu einem Nein. Ich passte auf keine Kinder auf. Nie. Ganz zu schweigen von vieren. Vier Kinder
ohne
Trampolin, auf dem sie sich austoben konnten. Worauf sollten sie herumspringen? Wahrscheinlich auf mir.
    Doch dann passierte etwas Seltsames: Karen, das Mädchen, das ich gerettet hatte, rannte wieder zu ihren Geschwistern, aber vorher winkte sie mir noch zu und lächelte. »Bis bald«, sagte sie. Ihr Lächeln war so strahlend, dass es Eiskappen zum Schmelzen bringen konnte. Und zum ersten Mal, seit wir umgezogen waren, fühlte ich mich zu Hause.
    Wie hatte ihre Mutter sie noch genannt, um sie zu beruhigen? Sacagawea? Jeder in Oregon kannte Sacagawea, die indianische Führerin der Lewis-und-Clark-Expedition. In Gesellschaft von zig stinkenden Kerlen mit Waschbärmützen und Fransenjacken, ohne Duschen und auch noch mit einem Baby auf dem Rücken hatte sie den Weg zur Pazifikküste gebahnt. Ohne sie wären Lewis und Clark womöglich am Arsch der Welt gelandet.
    Karen spielte wieder mit ihren Geschwistern, obwohl sie ein Kreuz aus Pflasterstreifen auf der Stirn hatte, die im Gerangel leicht abgehen konnten.
    Tapfer. Sehr tapfer. Ganz wie Sacagawea.
    »Wann soll ich da sein?«, fragte ich Mr Armstrong.

    In den darauffolgenden Monaten passte ich offiziell einmal in der Woche auf die Kinder der Armstrongs auf, und wenn man die vielen Male hinzuzählte, die Karen im
Patchworks
vorbeikam, um was mit mir zu unternehmen, war es noch öfter. Wie hätte ich nicht mitmachen können? Sie ließ alles interessant und schillernd erscheinen. »He, Ronnie. Die Schnecken sind auf Wanderschaft. Kommst du mit gucken? Kevin hat eine Strumpfbandnatter gefangen und sie in seine Sockenschublade gesetzt. Komm, Ronnie, komm gucken.«
    Karen bahnte den Weg und ich folgte ihr. Wenn sie Sacagawea war, dann war ich Lewis und Clark. Ich lernte, dass es im Graben auch noch andere Dinge gab als Müll. Sie brachte mir bei, Fischköpfe auf dem Rasen hinter dem Haus zu verteilen, damit Adler Fred ein Mittagsbuffet hatte. Dank ihr konnte ich Jaspis und Achat im Flussbett ausfindig machen. Ich lernte, wie man Gipsabdrücke von Tierspuren herstellt, die wir zu Ranger Dave bringen und von ihm bestimmen lassen konnten. Ich erkannte den Unterschied zwischen versteinertem Holz und einfachem Gestein,das vom Fluss in Schichten geschliffen worden war. Einmal fand ich sogar eine alte Pfeilspitze aus Feuerstein. Ich schenkte sie natürlich Karen. Wie sollte ich auch anders? Sie riss sie mir praktisch vor Begeisterung aus der Hand.
    Nichts, was wir zusammen unternahmen, hatte auch nur das Geringste mit dem Vassar-College, Debattierklubs, dem Schreiben von Theaterstücken oder Tragen von schwarzen Klamotten zu tun. Es hatte nichts mit alldem zu tun, was ich einmal hatte und was nun verloren war.
    Dank Karen tat es weniger weh. Was ich hinter mir gelassen hatte, war wie ein schiefes Kreuz aus Klammerpflastern auf meiner Stirn. Wenn ich daran dachte, juckte es fürchterlich, aber solange ich mit Karen zusammen war, dachte ich kaum daran.
Wie kann man denn unglücklich sein, wenn es so viel zu erleben gibt? Los, komm, Ronnie. Komm gucken
.

4
    »Ronnie, was ist los? Was ist passiert?«
    Keuchend stand ich auf der Veranda der Forststation, die Hände auf die Knie gestützt. Ich bekam keine Luft. In der Tür stand Ranger Dave. Wie so viele Monate zuvor, als ich Karen verletzt in der Auffahrt gefunden hatte, fiel es mir schwer zu sprechen, und wie damals brauchte ich das auch gar nicht. Ranger Dave warf sich seinen Einsatzgürtel, in dem eine Waffe oder eine Leuchtpistole steckte, um den Morgenmantel. Jeder Handgriff saß. Dieser Mann wusste, was bei Unglücksfällen zu tun war.
    »Hast du den Notruf angerufen?«, fragte er.
    Mir fiel das Handy in meiner

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