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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jane Beaufrand
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eiskaltem Regenwasser über uns ergoss.

5
    Nachdem die Polizei mit uns fertig war und die Schaulustigen aus der Nachbarschaft sich wieder in ihre Löcher verkrochen hatten, bot Ranger Dave mir an, mich nach Hause zu fahren. Er hatte einen schlammbespritzten Geländewagen mit kratzigen braunen Schonbezügen über den Sitzen.
    Inzwischen steckte er nicht mehr im Bademantel, sondern in seiner beigefarbenen Ranger-Uniform. Den breitkrempigen
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-Hut hatte er zu Hause gelassen. »Geht’s dir gut?«, fragte er, als ich mich auf dem Beifahrersitz anschnallte. Selbst durch meine Kleidung spürte ich den kratzigen Stoff des Schonbezugs.
    Ich nickte, auch wenn wir beide wussten, dass es keine Bedeutung hatte.
    Ranger Dave lächelte matt, drehte den Zündschlüssel herum, stellte die Heizung an und wir fuhren los.
    Allmählich merkte ich, dass Wärme überhaupt keine gute Idee war. Die Taubheit vom kalten Regen ließ nach und in meine Glieder kehrte das Gefühl zurück. Mit dem Gefühl kam auch die Erinnerung wieder: das
Fump!
, als ich Karens Körper vom Baumstamm losgezogen hatte, die Kieselsteinchen, die ihr aus dem Mund gekullert waren, und wie ihr Kopf an einer Seite auf- und zugeklappt war, so als hinge die Kopfhaut lose in den Angeln.
    Es war zu heiß hier drin. Ich bekam keine Luft. Mir wurde übel. Irgendwie gelang es mir, das Fenster herunterzukurbeln und den Kopf rauszuhalten, und ich übergab mich auf die Tür des Geländewagens, sodass wässriges Erbrochenes über das ganze
Santiam Nationalforst
-Logo lief.
    Ranger Dave fuhr an den Straßenrand und klopfte mir sanft auf den Rücken, strich mir langsam mit den Händen über die Schultern.
    »Ganz ruhig, Ronnie«, sagte er.
    Eine Zeit lang hing ich so weit aus dem Fenster, dass die Wagentür mich praktisch an der Taille in zwei Hälften schnitt. Doch das dämmte den Schwall der Übelkeit nicht ein. Ich würgte selbst dann noch, als ich nichts mehr in mir hatte – nur noch durchsichtige, schäumende Flüssigkeit, wie Wildwasser.
    »Tut mir leid, ich mach das Auto wieder sauber«, sagte ich mit erstickter Stimme.
    »Keine Sorge, Ronnie. Das überlassen wir dem Regen.«
    »Sie war doch noch ein kleines Kind.« Ich machte keine Anstalten, mich wieder in den Wagen zu setzen.
    Ranger Dave seufzte. »Ich weiß«, sagte er und wiederholte mit leiser Stimme: »Ich weiß, ich weiß, ich weiß.«
    »Der Fluss gehört verboten.«
    Ranger Dave zog die Luft ein. »Eigentlich lieb ich ihn. Aber heute würde ich das verdammte Ding am liebsten komplett einzäunen.«
    Es goss noch immer. Der Regen prasselte mir in den Nacken und auch in den Wagen. Die wolligen Sitzbezüge würden einlaufen und müffeln wie feuchte Alpakas. Ich zog den Kopf wieder herein und kurbelte das Fenster hoch.
    »Bring mich nach Hause«, bat ich.
    Ranger Dave nickte und fuhr zurück auf die Straße.
    Elend lehnte ich den nassen Kopf an die Tür. Er verstand mich nicht. Er fuhr nach Osten, zum
Patchworks
, dabei wollte ich doch nach Westen, zurück zu meinem alten Zuhause, meinem richtigen Zuhause, in Portland.

    Ich war nicht immer so wehleidig. Es gab mal Sachen, auf die ich mich gefreut habe, Freizeitbeschäftigungen, bei denen ich keine Innereien abkratzen oder irgendwas wegschaufeln musste, und Freunde, die mit sechzehn noch keinen Bierbauch ansetzten.
    Bevor wir nach Hoodoo zogen, wohnte ich mit Mom und Dad in einem weißen Haus im Queen-Anne-Stil mitlila Schnitzwerk und einer umlaufenden Veranda im hippen Nordwestteil von Portland, nur einen kurzen Fußweg von
Starbucks
und
Coffee People, Cinema 21
und einem
McMenamin’s
-Kneipenrestaurant entfernt, falls ich Moms Essen mal leid war und einfach nur einen Burger wollte. In meinem Schlafzimmer hingen Poster von Mary McCarthy und Lillian Hellman, die sich (Gerüchten zufolge) gegenseitig nicht leiden konnten und beide rauchten, Kaffee tranken und Schwarz trugen. Man konnte den Tiefsinn in ihren Augen sehen. Sie hatten kein leichtes, konventionelles Leben geführt, aber gerade das machte sie zu besseren Künstlerinnen. Sie konnten die menschliche Seele sezieren und dabei noch fabelhaft aussehen. Das wollte ich auch. Ich wollte intellektuell sein, entweder viele Ehemänner oder keinen haben und ich wollte weiche Samtkleider und dunkelroten, fast violetten Lippenstift tragen.
    Als ich in Portland wohnte, erschien mir das alles noch möglich.
    Damals hatte meine Mom ihre eigene Kochshow im öffentlichen Fernsehen von Oregon,
Der

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