Dunkler Dämon
der Suchmeldung ist es dann nur eine Frage der Zeit.«
»Kyle hat keine Zeit«, sagte sie.
»Menschliche Wesen brauchen Schlaf, Debs«, sagte ich. »Und ich auch.«
Ein FedEx-Transporter schleuderte um die Ecke und machte vor Deborahs Haus eine Vollbremsung. Der Fahrer sprang mit einem kleinen Päckchen heraus und näherte sich Debs Eingangstür. Sie sagte ein letztes Mal »Scheiße« und stieg dann aus dem Wagen, um das Päckchen entgegenzunehmen.
Ich schloss die Augen, blieb noch ein wenig sitzen und ließ meine Gedanken treiben, was ich immer tue, wenn ich zu müde zum Nachdenken bin. Es schien vergebliche Liebesmüh; ich hatte keinerlei Eingebung, außer dass ich mich fragte, wo ich meine Laufschuhe gelassen hatte. Offensichtlich lungerte mein neu erworbener Sinn für Humor noch irgendwo herum, denn ich fand das sehr komisch, und zu meiner großen Überraschung vernahm ich ein schwaches Echo vom Dunklen Passagier.
Warum ist das komisch?,
fragte ich.
Weil ich die Schuhe bei Rita vergessen habe?
Selbstverständlich antwortete er nicht. Das arme Ding schmollte vermutlich noch. Und doch hatte er gekichert.
Ist etwas völlig anderes so komisch?,
fragte ich.
Aber wieder keine Antwort, nur eine schwache Ahnung von Erwartung und Gier.
Der FedEx-Transporter knatterte und dröhnte davon. Gerade als ich mich strecken, gähnen und zugeben wollte, dass meine fein abgestimmten zerebralen Kräfte auf dem Tiefpunkt angelangt waren, hörte ich eine Art würgendes Keuchen. Ich schlug die Augen auf und sah Deborah, die einen Schritt vorwärts taumelte und sich auf die Stufen ihrer Veranda fallen ließ. Ich stieg aus dem Wagen und eilte zu ihr hinüber.
»Deb?«, fragte ich. »Was ist los?«
Sie ließ das Päckchen fallen und barg das Gesicht in den Händen, während sie weitere unwahrscheinliche Geräusche von sich gab. Ich kauerte mich neben sie und hob das Päckchen auf. Es war eine kleine Schachtel, von ungefähr der richtigen Größe für eine Armbanduhr. Ich lüpfte neugierig den Deckel. Darin lag ein Gefrierbeutel. Und in dem Beutel ein menschlicher Finger.
Ein Finger mit einem großen, funkelnden, rosa Ring.
[home]
16
D ieses Mal war wesentlich mehr nötig, als Deborah die Schulter zu tätscheln und »na, na« zu murmeln, um sie zu beruhigen. Tatsächlich musste ich ihr mit Gewalt ein großes Glas Pfefferminzschnaps einflößen. Ich wusste, dass sie chemische Hilfe benötigte, um sich zu entspannen und vielleicht sogar zu schlafen, aber in Deborahs Arzneischränkchen hatte ich nichts Stärkeres als Paracetamol entdeckt, und sie trank nicht. Endlich fand ich die Schnapsflasche unter ihrer Spüle, und nachdem ich mich vergewissert hatte, dass sie keinen Reiniger enthielt, ließ ich sie ein Glas davon hinunterkippen.
Sie schauderte und hustete, aber sie trank es, müde bis auf die Knochen und geistig zu erschöpft, um sich zu wehren.
Während sie in sich zusammengesunken auf ihrem Stuhl kauerte, stopfte ich ein paar ihrer Kleidungsstücke in eine Einkaufstüte und stellte sie neben den Eingang. Sie starrte erst die Tüte an und dann mich. »Was machst du da?«, fragte sie. Ihre Aussprache war verschwommen, und sie schien sich nicht wirklich für die Antwort zu interessieren.
»Du wirst ein paar Tage bei mir wohnen«, erklärte ich.
»Will nicht«, murmelte sie.
»Darauf kommt es nicht an«, sagte ich. »Du musst.«
Sie hob den Blick zu der Tüte mit Kleidung neben der Tür. »Warum?«
Ich ging zu ihr hinüber und kauerte mich neben ihren Stuhl. »Deborah. Er weiß, wer du bist und wo du wohnst. Es soll doch eine Herausforderung für ihn sein, in Ordnung?«
Sie schauderte wieder, sagte aber nichts mehr, während ich ihr auf die Beine und durch die Tür half. Eine halbe Stunde und einen weiteren Pfefferminzschnaps später lag sie leise schnarchend in meinem Bett. Ich hinterließ ihr eine Nachricht, mich anzurufen, wenn sie aufwachte, dann schnappte ich mir das kleine Überraschungspaket und machte mich auf den Weg zur Arbeit.
Ich rechnete nicht damit, irgendwelche wichtigen Hinweise zu entdecken, indem ich den Finger einem Labortest unterzog, da aber nun mal forensische Untersuchungen mein Beruf sind, schien es mir als das Mindeste, ihn professionell zu durchleuchten. Und weil ich alle meine Verpflichtungen sehr ernst nehme, hielt ich unterwegs an und kaufte Doughnuts. Gerade als ich bei meinem Kabuff im zweiten Stock eintraf, kam mir Vince Masuoka im Gang entgegen. Ich verbeugte mich demütig und hielt die
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