Dunkler Dämon
selbstverständlich fort, aber Deborah parkte trotzdem völlig willkürlich, Polizistenstil, und stieg aus. Ich folgte ihr auf dem kurzen Weg zum Nachbarhaus von dem, wo wir den menschlichen Türstopper gefunden hatten. Deborah klingelte, immer noch schweigend, und einen Moment später schwang die Tür auf. Ein Mann mittleren Alters mit Goldrandbrille und einem braunen Guayabera-Shirt sah uns fragend an.
»Wir müssen mit Ariel Medina sprechen«, sagte Deborah und hielt ihre Marke hoch.
»Meine Mutter ruht sich aus«, erwiderte er.
»Es ist dringend«, sagte Deborah.
Der Mann sah erst sie an, dann mich. »Einen Augenblick«, bat er. Er schloss die Tür. Deborah starrte sie an, und ich sah zu, wie ihre Kiefermuskeln arbeiteten, bis der Mann nach einigen Minuten die Tür weit öffnete. »Kommen Sie herein«, sagte er.
Wir folgten ihm in ein kleines dunkles Zimmer, in dem sich Beistelltische drängten, die von religiösen Gegenständen und gerahmten Fotografien überquollen. Ariel, die kleine alte Dame, die das Ding nebenan gefunden und an Deborahs Schulter geweint hatte, saß auf einem üppig gepolsterten Sofa mit Spitzendeckchen auf Rücken- und Armlehnen. Als sie Deborah erkannte, sagte sie »Aaahhh« und erhob sich, um sie zu umarmen. Deborah, die wirklich auf einen
abrazo
von einer ältlichen kubanischen Dame hätte gefasst sein sollen, stand einen Moment lang steif da, ehe sie die Umarmung mit ein paar unbeholfenen Klapsen auf den Rücken der Frau erwiderte. Sobald es der Anstand erlaubte, trat Deborah einen Schritt zurück. Ariel nahm wieder auf dem Sofa Platz und klopfte auf das Kissen neben sich. Deborah setzte sich.
Die alte Dame ließ umgehend einen Schwall außerordentlich schnelles Spanisch los. Ich spreche ein bisschen Spanisch, und häufig kann ich sogar Kubanisch verstehen, aber von Ariels Sermon begriff ich höchstens jedes zehnte Wort. Deborah sah mich hilflos an; aus was für versponnenen Gründen auch immer hatte sie in der Schule Französisch gewählt, und soweit es sie betraf, hätte die Frau genauso gut Altetruskisch sprechen können.
»Por favor, Señora«, unterbrach ich. »Mi hermana no habla español.«
»Ach?« Ariel sah Deborah mit etwas weniger Begeisterung an und schüttelte den Kopf. »Lázaro!« Ihr Sohn trat einen Schritt vor, und während sie ihren Monolog ohne erkennbare Pausen fortsetzte, übersetzte er für sie. »Ich bin 1962 von Santiago de Cuba hierher gekommen«, sagte Lázaro für seine Mutter. »Ich habe unter Batista schreckliche Dinge erlebt. Menschen verschwanden. Dann kam Castro, und eine Weile war ich voller Hoffnung.« Sie schüttelte den Kopf und spreizte die Hände. »Ob Sie es glauben oder nicht, aber so haben wir damals gedacht. Die Dinge würden sich ändern. Aber bald war alles wieder genauso. Schlimmer. Deshalb kam ich hierher. In die Vereinigten Staaten. Weil hier keine Menschen verschwinden. Hier werden Menschen nicht auf der Straße erschossen oder gefoltert. Das habe ich geglaubt. Und jetzt dies.« Sie wies mit dem Arm zum Haus nebenan.
»Ich muss Ihnen einige Fragen stellen«, sagte Deborah, und Lázaro übersetzte.
Ariel nickte nur und fuhr unbeirrt mit ihrer bewegenden Geschichte fort. »Selbst unter Castro würden sie so etwas nie tun«, sagte sie. »Ja, sie bringen Leute um. Oder sie bringen dich auf die Isle of Pines. Aber niemals so etwas. Nicht auf Kuba. Nur in Amerika«, sagte sie.
»Haben Sie Ihren Nachbarn jemals gesehen?«, unterbrach Deborah sie. »Den Mann, der das getan hat?« Ariel musterte Deborah einen Moment lang. »Ich muss das wissen«, sagte Deborah. »Es wird wieder passieren, wenn wir ihn nicht finden können.«
»Warum sind Sie es, die mich befragt?«, fragte Ariel über ihren Sohn. »Das ist keine Arbeit für Sie. Eine hübsche Frau wie Sie. Sie sollten einen Ehemann haben. Eine Familie.«
»El victima proximo es el novio de mi hermana«, sagte ich. Der Schatz meiner Schwester wird das nächste Opfer sein. Deborah starrte mich finster an, aber Ariel sagte »Aaahhh«, schnalzte mit der Zunge und wiegte den Kopf. »Nun, ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen kann. Ich habe den Mann gesehen, vielleicht zweimal.« Sie zuckte die Achseln, und Deborah beugte sich ungeduldig vor. »Immer nachts, und nie aus der Nähe. Ich weiß, dass der Mann klein ist, sehr kurz. Und dünn. Er trägt eine große Brille. Ob größer als so, weiß ich nicht. Er kam nie raus, er war sehr ruhig. Manchmal hörten wir Musik.« Sie lächelte ein wenig
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