Dunkler Schnee (German Edition)
Schnelle kein Ja oder Nein in ihrem Inneren manifestieren. Sie küsste Laurens auf den nassen Mund und ließ sich, eng umschlungen, ins tiefe Wasser schaukeln. Sie drehten sich um sich selbst, Laurens erwiderte den Kuss, forderte ihre gesamte Aufmerksamkeit, raubte ihr den Atem. Sie versanken ineinander, wiegten sich im plötzlichen Wohlgefühl des anstehenden Entschlusses, überließen sich der sanften Strömung des sommerwarmen Sees, nahmen schließlich emotional vorweg, welche Konsequenzen der Urlaub in Nova Scotia haben würde, ließen kein Wenn, kein Aber mehr zu, konnten gar nicht mehr anders, als atemlos und voller Überzeugung dieser Idee zu folgen und den Grand Lake zum vorläufigen Zeugen ihres Trauversprechens zu machen.
„Was hältst du davon, wenn wir an deinem Geburtstag heiraten? Dreißig Jahre und endlich unter der Haube, hm?“ Laurens lächelte verschmitzt und wehrte das Kissen, das ihm postwendend an den Kopf fliegen sollte, geschickt ab.
„Pass nur auf, dass du nicht zu übermütig wirst! – Wein?“
Laurens nickte und Marisa stand auf, um Gläser zu holen. Nach dem obligatorischen Barbecue am Abend machten sie es sich auf der erhöhten Veranda ihres Ferienhauses gemütlich und genossen den Blick auf Kiefern, Eichen, Hemlocktannen und den allgegenwärtigen Ahornbäumen. Der See schimmerte bronzefarben im untergehenden Sonnenlicht. Ab und zu störte eine verspätete Blackfly oder es stachen die Mücken, doch das konnte ihre Glückseligkeit nur bedingt beeinträchtigen. Marisa fühlte sich glücklich. Und sie merkte, wie sie sich gütlich tat am Klischeedenken, in dem nur Sonne, Urlaub, der Beau an ihrer Seite und ein Heiratsantrag vorkamen. Fast fürchtete sie sich vor der Perfektion, in der sie sich befand. Es drängte sie, ein Haar in der Suppe zu finden, ein Stachel, den sie ziehen musste, einen Ball zu treten, der am Pfosten abprallt.
„Was meine Eltern wohl sagen werden?“, fragte sie, als sie mit zwei gefüllten Rotweingläsern zurückkam. „Sie denken bestimmt, dass ich niemals heiraten werde. Und stell dir mal Georg vor! Der wird gar nicht begeistert sein“, sagte sie, setzte sich lachend und nippte an ihrem Wein. Sie blickte Laurens von der Seite an.
Laurens wandte seinen Blick weg vom See hin zu ihr und strahlte übers ganze Gesicht. Er kramte etwas aus der Hosentasche und ließ es in Marisas Glas fallen. „Alle werden sich freuen, mein Sonnenschein!“ Er beugte sich zu ihr und küsste sie sanft. „Wir sind nun offiziell verlobt, nicht?“
Marisa fischte aus dem Glas einen Ring und streifte ihn über den Finger. Blutrot rann der Wein über ihre Hand. „Das will ich meinen!“, sagte sie und schleckte die Tropfen ab. Sie setzte sich rittlings auf Laurens’ Schoß. „Das wird eine Menge Leute überraschen.“
„Wir sind halt immer für eine Überraschung gut. Und Georg? Pah! Der soll sich mal nicht so anstellen mit seinen Praxis-Regeln. Nur weil er unser Boss ist, hat er noch lange nicht unser Privatleben zu beeinflussen. Er wird sich damit abfinden müssen. Außerdem machen wir später sowieso unsere eigene Praxis auf.“ Laurens lachte unbekümmert und zog Marisa noch näher zu sich heran.
Marisa und Laurens arbeiteten beide als Physiotherapeuten in einer Praxis in der Kölner Innenstadt. Georg Müller, der Inhaber der Praxis, führte sein Team mit straffer Hand, unterstrich seine Autorität mit cholerischen Ausbrüchen, die man ihm nicht selten verzieh, da es immer wieder Laissez-Faire-Auszeiten gab und er durch fachliche Qualität und kaufmännischen Ideenreichtum bestach. Marisa bewunderte dessen nie versiegende Phantasie: Die Praxis wurde als Seminar- und Ausstellungsraum und hin und wieder sogar als Filmset für ein Fernsehteam genutzt, je nachdem, wer aus Georgs weitverzweigtem Bekanntenkreis ein Bedürfnis nach Verwirklichung hatte. Der Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad der Praxis stieg seit Jahren und machte Georg zum beliebten Arbeitgeber. Deswegen oder wegen dessen dunkler Augen, die nicht nur Marisa einst verlockend erschienen waren, konnte er sich stupide Regeln für sein Team ausdenken. Die Weisung, keinerlei Beziehungen innerhalb des Kollegiums einzugehen, weil das nur zu Konflikten führen würde, unter denen letztlich die Patienten und also auch die Praxis zu leiden hätten, wirkte aus arbeitsrechtlicher Sicht absurd. Dennoch hielten sich alle daran, zumindest die Fassade der Unschuld aufrechtzuerhalten. So war es Marisa und Laurens bisher gelungen,
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