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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudygard Kipling
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vielleicht später zufällig stürbe, es heißen würde, ich hätte den bösen Blick, was ein furchtbarer Vorwurf ist.
    »Bleib nur ruhig sitzen, Däumlingchen«, sagte ich, als der Kleine Miene machte, aufzuspringen und fortzulaufen. »Wo hast du denn deine Schiefertafel? Und wie hat denn der Lehrer einem Bösewicht wie dir erlauben können, auf der Straße herumzulaufen, wo doch gar kein Polizeimann da ist, der auf uns schwache Brummer achtgibt? Und in welchem Stadtviertel gedenkst du dir den Hals zu brechen beim Drachensteigenlassen auf dem Dach?«
    »Nein, Sahib, nein!« sagte das Kind, versteckte sein Gesicht im Barte Gobinds und flocht verlegen Strähne hinein. »Heut war doch schulfrei, und ich laß nie Drachen steigen. Ich spiel Ker-li-kit, wie die andern.«
    Kerlikit-Cricket ist das Nationalspiel der Schulbuben im Punjab, vom nackten ABC-Schützen angefangen, der zum Cricket-Ballbesteck sich eine alte Weißblechlampe auserkürt, bis hinauf zum Universitätshörer, der für die Meisterschaft trainiert.
    »So? Du spielst Kerlikit! Aber du bist doch selber erst halb so groß wie ein Cricketschläger!« sagte ich.
    Das Kind nickte stolz. »O ja! Ich kann gut spielen. Per-lay Ball: A-us! Lauf, lauf, lauf! Ich weiß das alles.«
    »Aber du darfst dabei niemals vergessen, zu den Göttern zu beten, wie es vorgeschrieben ist«, ermahnte Gobind, der auf Cricketspielen und andere westliche Neuerungen nicht das geringste Gewicht legte.
    »Ich vergeß es nie«, beteuerte das Kind verschüchtert.
    »Auch deinem Lehrer Verehrung entgegenzubringen, und –« - Gobinds Stimme wurde mild - »und heilige Männer nicht am Bart zu zupfen, du kleiner Missetäter. Eh, eh, eh? Was ist denn das?«
    Das Kind hatte sofort sein Gesicht in dem großen weißen Bart begraben und begann zu wimmern, bis Gobind es beschwichtigte, wie man alle Kinder in der Welt beschwichtigt: mit dem Versprechen, ihm eine Geschichte zu erzählen.
    »Ich hab dich doch nicht erschrecken wollen, Dummerle! Schau doch her! Mach ich ein böses Gesicht? Also! Aré, aré, aré. Soll ich vielleicht mitweinen? Und aus unsern Tränen einen Teich machen, in dem wir dann beide ertrinken? Und wenn dann dein Vater nicht mehr gesund wird, wer wird ihn denn dann am Bart zupfen? Still, still, ich werde dir etwas von den Göttern erzählen. Hast du schon viele Geschichten gehört?«
    »Oh, viele, viele, Vater.«
    »Aber ich weiß eine neue, die du sicher noch nicht gehört hast. Also: lang lang früher in alter Zeit, als die Götter noch mit den Menschen herumgingen - sie tun's auch heute noch, aber wir haben zu wenig Glauben und darum sehen wir sie nicht -, da ist Schiwa, der oberste aller Götter, mit Parbati, seiner Frau, eines Tages im Garten eines Tempels spazierengegangen.«
    »In welchem Tempel?« fragte das Kind schnell. - »Im Nandgaon-Viertel?«
    »Ach was! Viel viel weiter. Vielleicht in Trimbak, oder in Hurdwar, wohin du einmal pilgern mußt, bis du groß bist. Nun, und da saß gerade im Garten unter den Jujube-Bäumen ein Bettelmönch, der hatte Schiwa verehrt durch vierzig Jahre und lebte von den Gaben der Frommen. Tag und Nacht war er versenkt in heiligen Betrachtungen.«
    »Oh, Vater, das warst du!« rief das Kind und blickte mit weit offenen Augen Gobind an.
    »Aber nein! Ich hab dir doch gesagt, es war viel früher. Und dann war der Bettelmönch verheiratet.«
    »Haben sie ihn bei der Hochzeit auf ein Pferd gesetzt und ihm Blumen auf den Kopf gelegt und ihm verboten, in der Nacht zu schlafen? So haben sie es mit mir gemacht, als sie mich vor ein paar Monaten verheiratet haben.«
    »So? Und was hast du dazu gesagt?« fragte ich.
    »Ich? No, ich hab halt geweint, und sie haben mich ausgescholten. Dann hab ich ›ihr‹ eine hineingehaut, und dann haben wir zusammen geweint.«
    »Das hat der Bettelmönch nicht getan«, fuhr Gobind fort, »denn er war ein heiliger Mann und sehr arm. Als die Göttin Parbati ihn nackt so dasitzen sah auf den Tempelstufen, während alles hinauf- und hinabstieg, sagte sie zu Schiwa: ›Was werden sich die Menschen von den Göttern denken, daß sie ihre Verehrer so vernachlässigen? Vierzig Jahre lang hat dieser Mann da zu uns gebetet und nur täglich ein paar Körner Reis und einige zerbrochene Kaurimuscheln dafür gekriegt. Die Herzen der Menschen werden hart werden, wenn das so weitergeht.‹ Und Schiwa sagte: ›Ich will nach dem Rechten sehen‹, und rief in den Tempel seines Sohnes, des Gottes mit dem Elefantenkopf, hinein:

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